Unendliche Räume des Traumes – achtstündiges „Fest der Romantik“ im Dortmunder Schauspiel

Von Bernd Berke

Dortmund. Zuweilen war es wirklich wie ein schöner Traum – von einer allseits mit Künsten gesättigten Sehnsuchts-Welt: Dortmunds Schauspiel beging am Samstag erstmals sein groß angelegtes „Fest der Romantik“.

Mit einer ganzen Flut einschlägiger Texte werden im Laufe des fast achtstündigen Spektakels sämtliche Winkel des Theaters bespielt, bis hin zu Probenräumen und Unterbühne. Selbst in den Pausen sind Foyer und Wandelgänge von historisch kostümierten, literarischen Geistern erfüllt.

Es kann nur gut sein, wenn sich – in schwierigen Zeiten – ein Stadttheater so massiv inErinnerung bringt, wenn es zudem sein Innerstes hervorkehrt und sich in die imposante Maschinerie blicken lässt. Und so weckt das auch logistisch gewiss ungeheuer aufwändige Kaleidoskop in seiner Gesamtheit nachhaltige Sympathien für die Bühne.

Natürlich geht’s nicht um Hollywood-Romantik, sondern um Ausflüsse und Eckpunkte, um Sehnsuchts-, Nacht- und Schattenseiten jener Epoche, in der die Tore zu den unendlichen Räumen des Traumes und des Unbewussten aufgetan wurden. Nicht ganz lupenrein, aber im Sinne der Gewichtigkeit und der Grenzverläufe plausibel: Kleist, Hölderlin und Nietzsche sehen sich mit einbezogen. Man hätte etliche Linien auch in die Gegenwart verlängern können, etwa bis zu Botho Strauß.

Kleists „Käthchen“ mit Stahlhelmen und Wehrmachtsmänteln

Mit Kleists „Käthchen von Heilbronn“ beginnt der Reigen, Hausherr Michael Gruner lat den Klassiker selbst inszeniert. Er malt den Text nicht breit aus, sondern schraffiert ihn rasch mit verschatteten Grau-Tönen. Stahlhelme und Wehrmachtsmäntel lassen allzu früh ahnen: Das „Käthchen“ wird einmal mehr auf die gespenstischen Seiten deutscher Historie bezogen – eine Rechnung, die nicht restlos aufgehen mag. Es waltet kaum ein Zauber, sondern Entzauberungs-Absicht. Wenigstens ist damit der etwaige Vorwurf, in diesen kriegsschwangeren Wochen nur „auf Romantik zu machen“, vom Tisch.

Von dunklen Mauern umgeben und geheimnisvoll ausgeleuchtet (Bühne: Peter Schutz), schnurrt hier ein doch etwas bemühtes Spiel ab, das die sprachlichen Qualitäten derVorlage nicht immer im Sinn behält. Man vernimmt dumpfe Echos aus dem Gruselkeller der Geschichte. Graf Wetter vom Strahl (Pit-Jan Lößer) ist ein Typ fast wie aus dem Landser-Heft, das ihn so aufopferungsvoll liebende Käthchen (Astrid Rashed) bleibt selbst in traumhaften Sequenzen blässlich patent.

Gar zu greller Kontrast: Käthchens böse Gegenspielerin Kunigunde (gespielt von einem Mann: Manuel Harder) gerät zur jaulenden Chargenrolle, zur hassenswerten Gesamt-Germanin. Anders als bei Kleist, heiratet Graf Strahl dieses präfaschistische Monstmm und nicht das zarte Käthchen. Die reine Liebe ist nur ein Traum, es obsiegt martialisehe Geschichte. Ein Ansatz, den man filigraner hätte herausarbeiten können.

Worte zwischen Weltschmerz und Natur-Beglückung

Es folgt der wohl schönste Teil des Projekts, die mit punktgenauer Raffinesse dargebotene Offenbach-Oper „Hoffmanns Erzählungen“, die man eines Tages aus dem Projekt lösen und separat spielen sollte.

Sodann hat man die Wahl zwischen sechs parallel aufgeführten Texten. Schweren Herzens lasse ich Tieck, E. T. A. Hoffmann, Bonaventura, Achim von Arnim und Nietzsche beiseite und entscheide mich für Hölderlins Briefroman „Hyperion“, der hier als „dramatisches Fragment“ firmiert und bruchstückhaft auf drei Darsteller (Jürgen Hartmann, Manuel Harder, Birgit Unterweger) verteilt wird.

Regisseur Matthias Gehrt lässt die Zuschauer auf der knarzenden Drehbühne sitzen und rotieren. Das scheint von den wunderbaren Wendungen der Sprache abzulenken. Doch so kommen die Figuren von allen Seiten her ins vieldimensionale Wort-Gewoge zwischen Weltschmerz und Natur-Beglückung, die Phantome sind nah. Man lauscht bewegt und hoch erfreut: So herrlich ist einst in deutscher Sprache geschrieben worden.

Termine: 14. Feb. (18 Uhr), 16. Feb. (16Uhr), 22. Feb. (17Uhr). Karten: 0231/50 27 222.

 

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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