Sprache gegen die Diktatur in Schutz nehmen – Herta Müllers neues Buch „Der König verneigt sich und tötet“

Von Bernd Berke

Mit sprachlichen Reibungsflächen hat die 1953 geborene Autorin Herta Müller viele schmerzliche Erfahrungen gemacht. Aufgewachsen in einem gespenstisch schweigsamen, banatschwäbischen Dorf (deutschsprachige Minderheit in Rumänien), kam sie mit 15 Jahren aufs Gymnasium in der nahen und doch so fernen Stadt. Dort erst lernte sie nachträglich Rumänisch; noch dazu als Mädchen vom Lande den schnoddrigen städtischen Jargon mitsamt der ganz anderen Gestik.

Hinzu kam die verfälschende Zerrspiegel-Sprache des Ceausescu-Regimes, die in alle Beziehungen sickerte und gegen die man sich im Namen der wahren Empfindung tagtäglich wehren musste.

Als Herta Müller nach vielen Geheimdienst-Verhören, nach mancher Drangsal und Drohungen 1987 ins deutsche Exil ging, lernte sie westliche Sprechweisen und Wortfärbungen kennen. Ihr Befund, der uns zu denken geben sollte: Von existenziellen Leiden und Ängsten haben wir hierzulande meist kaum einen Schimmer, deshalb reden wir zuweilen so sorglos und unverantwortlich daher.

Unheimliche Macht der Gegenstände

In ihrem neuen Buch „Der König verneigt sich und tötet“ gibt Herta Müller Auskunft über Quellflüsse und Antriebe ihrer LIteratur, vor allem der Romane „Der Fuchs war damals schon der Jäger“ und „Herztier“.

Basis des Bandes sind Vorträge im Rahmen von Poetik-Dozenturen. Doch sie lesen sich absolut nicht wie eine branchenübliche Nabelschau vom Schreibtisch-Rand, sondern durchaus dringlich verdichtet.

Kein Wunder, dass diese Autorin für sprachliche Nuancen so hellhörig ist. Doch letzten Endes traut gerade sie, die mit ihren Wörtern fast immer genau ins Herz der Dinge trifft“ der Sprache nicht über den’Weg. Selbst feinfühlige Literatur könne das Leben und Leiden nur ansatzweise erhaschen, und nur in ganz raren, glückhaften Schreib- und Lese-Augenblicken könne sie einen womöglich produktiven „Irrlauf“ (so Müllers Ausdruck) im Kopfe in Gang setzen. Als mächtiger erweisen sich allemal unscheinbare Gegenstände (ein Nachthemd, ein Möbelstück), die sich im Gedächtnis einnisten, dort in nervöser Verzweiflung sprachlos kreisen und nicht mehr weichen wollen.

Wider den byzantinischen Größenwahn

Mit dem Titel gebenden König ist auch der fürchterliche Ceausescu gemeint, der im geradezu byzantinisehen Größenwahn alles nach seinem fratzenhaften Bilde formen wollte. Herta Müller lässt ahnen, wie verstörend es für alle weitere Lebenszeit gewesen ist, unter ihm und seinen Bonzen das Dasein gefristet zu haben. Mit anhaltender Verzweiflung schildert sie etwa, wie schon Fünfjährige im Kindergarten dem System vollends verfallen waren und vielstrophige Lobeshymnen auf Ceausescu singen wollten. Ganz zu schweigen davon, dass Menschen aus dem Freundeskreis der Autorin entweder zu Verrätern wurden oder ihre Dissidenz mit dem Leben bezahlten. Auch als Leser erfasst einen da heißkalte Wut.

Doch der schreckliche „Monarch“ (der vom Westen mit Samthandschuhen angefasst wurde, weil er zu Moskau Distanz hielt) wird nach und nach in ein engmaschiges Bilder-Geflecht verstrickt; wird beispielsweise überblendet mit dem König beim Schachspiel, was wiederum zum armseligen Leben des (von den Kommunisten enteigneten) Großvaters führt und sich überhaupt biographisch kunstvoll verästelt.

Es ist, als schlüge jeder Bereich (Wort)-Wurzeln im anderen. Daraus erwachsen eine unvergleichliche poetische Durchdringung – und eine tiefe, untröstliche Traurigkeit.

• HertaMüller: „Der König verneigt sich und tötet“. Hanser Verlag, 199 S., 17,90 Euro.

• Mit einer Lesung von Herta Müller beginnt am Montag, 3. November (19.30 Uhr im Theater Fletch Bizzel, Humboldtstraße 45) das Dortmunder Literaturfestival LesArt. Infos/Karten: 0231/50 27 710.

 

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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