Von Bernd Berke
Seine Lesungen, zu denen oft viele hundert Leute kommen; hat er einmal „Schausaufen mit Betonung“ genannt. Zeugenaussagen schwanken allerdings: Manche behaupten, Harry Rowohlt vertilge bei abendlichen Auftritten mühelos eine Flasche Whisky oder mehr. Andere sagen, alles sei halb so wild. Und wir wollen hier keinerlei Tatsachenbehauptung aufstellen.
Denn wer immer über Harry Rowohlt schreibt, muss sich hüten oder notfalls ducken. Der Mann schlägt mitunter verbal ganz scheußlich zurück; wie jetzt auch seine in Buchform gesammelten Briefe (1966 bis Ende 2004) vielfach beweisen. Am Sonntag wird die wohl verwegenste Gestalt der deutschen Kulturszene 60 Jahre alt.
Kongeniale Übersetzung aus dem Englischen
Vor allem als Übersetzer aus dem Englischen hat der Mann ungeheure Verdienste. Das Spektrum seiner kongenialen Übertragungen reicht vom Iren Flann „O’Brien (den er entschieden höher einschätzt als James Joyce) über Frank McCourt („Die Asche meiner
Mutter“) bis hin zu „Pu der Bär“ und zum Comic-Heros Robert Crumb. Wahrscheinlich ist Rowohlt sogar der beste Englisch-Übersetzer, den wir haben. Denn er liebt die deutsche ebenso wie die englische Sprache – und das klingt mit.
Auch als Verfasser herrlich abgedrehter, genialisch abschweifender Kolumnen („Pooh’s Corner“) reicht ihm – außer vielleicht Max Goldt – so schnell keiner den Griffel. Harry Rowohlt wirkt wie eine Mischung aus Stadtstreicher (er spielt ja auch seit Jahren den „Penner“ in der TV-Serie „Lindenstraße“) und alttestamentarischer Figur.
.Vulkanisch sind zuweilen seine Zornesausbrüche. An den Kritiker Fritz J. Raddatz schrieb er laut Buchabdruck äußerst rüde, kaum familienverträglich zitierfähige Zeilen. Grund: Raddatz hatte ausgerechnet die Werke des verehrungswürdigen Robert Gernhardt als stillos abgekanzelt. Harry Rowohlt hatte also nur die edelsten Motive.
Doch der manchmal so unwirsche Brummbär aus Hamburg kann auch ganz anders. Der Sohn des großen Verlegers Ernst Rowohlt schrieb schon als knapp über 20jähriger Lehrling im Frankfurter Suhrkamp-Verlag ebenso einfühlsame wie erfrischend offenherzige Auskunfts-Briefe. Auch später zeugen seine Antworten auf Leserzuschriften von Liebe zur ganzen literarischen Gemeinde. Ruhmreichen Autorenkollegen wie etwa Peter Rühmkorf oder Eckhard Henscheid widmet er ohnehin warmherzige Zeilen.
Die Liebe zum Publikum im Ruhrgebiet
Überdies hat der bärbeißige Menschenfreund Rowohlt, wie ein Briefwechsel belegt, dem WR-Mitarbeiter Tilmann P. Gangloff einst einen heiß ersehnten Leuchtkugelschreiber für Kinokritiken besorgt. Ist das noch steigerungsfähig? Jawohl! Rowohlt nennt das Publikum im Ruhrgebiet sein allerliebstes, und für Unna hat er ein besonderes Faible. Wie der Schlawiner das wohl wieder meint?
Staunenswert ist Rowohlts politische Zähigkeit. Der Band beginnt mit Comics des 11-jährigen Harry, die bereits 1956 die sozialistische Revolution preisen. Bis heute unterzeichnet Rowohlt seine Briefe häufig mit einem ruppigen „Der Kampf geht weiter!“
Eine beharrliche Seele also. doch auch einer, der schon früh erkannt hat, dass die DDR nichts taugt. Ein weltweiser Hippie, kein dümmlich orthodoxer Kommunist. Angewidert von manchen Wegen des Zeitgeistes, zieht Rowohlt unbeirrbar seine Bahn. Auch von geistigen Getränken und filterlosen Zigaretten hat er sich nie abbringen lassen.
Reisen in die USA lehnt er aus gleichem Grund wie Günter Grass ab: Er werde doch kein elendes Nichtraucherland besuchen…
• Harry Rowohlt: „Der Kampf geht weiter! Nicht weggeschmissene Briefe“. Verlag Kein & Aber, Zürich. 464 Seiten, 22,80 Euro.
• Außerdem neu im Handel: Harry Rowohlt „Pooh’s Corner. Complett“. Verlag Zweitausendeins (Versand + eigene Läden). 478 S., 14.90 Euro.