Die Welt der Sonderlinge – Carl Spitzweg in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Um es nur gleich zu sagen: „Der arme Poet“, jenes millionenfach gedruckte Motiv, fehlt in der Wuppertaler Spitzweg-AusStellung. Wenn ein ambitioniertes Museum auf einen Künstler aufmerksam macht, so will es ja gerade nicht die gängige Sicht bestätigen, sondern möglichst neue Aspekte hervorheben.

Noch dazu ist es schier unmöglich, das verbliebene Münchner Exemplar (eine weitere Fassung wurde in Berlin gestohlen) auszuleihen. Also denn: Kunstkenner mit arroganten Avantgarde-Anwandlungen dürften die Nase rümpfen. Denn Carl Spitzweg (1808-1885) ist heute weithin als harmloser Idylliker des Biedermeier verrrufen, wird aber von vielen (konservativen?) Geistern recht innig geliebt. Hier darf die Betrachterseele ruhen, hier muss sie sich eben nicht mit ausgeklügelten Minimal-Differenzen zwischen monochromen Quadraten und dergleichen modernen Schwierigkeiten plagen.

Das Von der Heydt-Museum zeigt 75 Gemälde und 165 Zeichnungen Spitzwegs. Letztere stammen aus Münchner Privatkollektionen und wurden noch nie in solcher Breite präsentiert. Man gerät somit näher an den Moment der Ideenfindung als bei den sorgsam ausgeführten Ölgemälden. Und die Einblicke in Spitzwegs Skizzen-Werkstatt zeugen allemal von künstlerischer Redlichkeit.

Staunenswerte Akkuratesse

Der Münchner Kaufmannssohn Carl Spitzweg war zunächst wohlbestallter Apotheker. Bei einem Kuraufenthalt überlegte er sich’s anders und fing ein gänzlich neues Leben als Künstler an. Die Grundlagen erarbeitete er sich als Autodidakt, außerdem lernte er manchen Kniff von Malerfreunden wie Moritz von Schwind.

Spitzweg verfügte zweifellos über Talente, die ihn über die meisten Zeitgenossen erhoben. Der Mann konnte beachtliche Landschaften malen, in denen Menschlein nur noch als anekdotische Staffage dienen. Staunenswert auch seine Akkuratesse bei geradezu winzigen Bildformaten. Jedes Detail ist bis aufs Tüpfelchen ausgeführt und durchgestaltet, kleine Charakterstudien sind auf typisierte Weise gültig.

Für heutige Begriffe haltbarer wirken freilich die Werke, in denen es Spitzweg etwas legerer angehen ließ und wo er nicht auf jede Kleinigkeit versessen war. In manchen Partien nähert er sich gar einem nahezu abstrakten Verständnis der Bildfläche, was allerdings noch kein Verdienst an sich ist. Aber es erweitert das Spektrum.

Das Vergnügen kommt ganz leise

Der Rundgang führt, wie kaum anders zu erwarten, vornehmlich durch jene immer etwas versponnene, verschrobene Welt der Sonderlinge, Hagestolze, schrulligen Experten („Käfersammler“) und Einsiedler. Wenn Spitzweg menschliche Schwächen enthüllt, so verzeiht er sie zugleich. Ironie kommt nur in Spurenelementen zum Vorschein, doch gerade dieses unaufdringliche Moment bereitet zuweilen leises Vergnügen.

Fast immer wirken seine Ansichten so naturfriedlich, als hätte sich jemand behaglich aus einem Fenster gelehnt und die Welt mit einigem Wohlgefallen betrachtet. Balsamisch ist’s, man nimmt es leichten Sinnes hin. Unsere Welt ist ja ruhelos genug.

6. Juni bis 25. Juli. Von der Heydt-Museum, Wuppertal (Elberfeld, Turmhof 8). Geöffnet Di-So 11-18, Do 11-20 Uhr). Katalog 19,80 Euro.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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