Neues aus dem versoffenen Alltag: Kroetz legt mit „Blut & Bier“ nach langer Schaffenspause „15 ungewaschene Stories“ vor

Von Bernd Berke

Lange nichts mehr gehört von Franz Xaver Kroetz. Er schien von der literarischen Bildfläche fast verschwunden. Auch die Schauspielhäuser der Republik haben ihn links (oder sonstwo) liegen lassen. Doch jetzt, zu seinem 60. Geburtstag, ist der kernige Bayer plötzlich wieder da – mit dem schmalen, aber durchaus heftigen Erzählband „Blut & Bier“.

Der Untertitel „15 ungewaschene Stories“ trifft ohne Wenn und Aber zu. Kroetz hat sich den ganzen, in erfolglosen Zeiten angesammelten Frust von der Seele geschrieben. Aggressionsgeladen setzt sich sein durchgängiger Erzähler (der kaum vom richtigen Kroetz unterscheidbar ist) an die Schreibmaschine. Zitat: „Hingefetzt, 7 eng beschriebene Seiten, 66 Zeilen à 75 Anschläge, keinen weißen Fleck auf dem Papier übriglassen, von links nach rechts rotzen, kotzen, klotzen.“

Meist angriffswütig, zwischendurch weinerlich

Wie „hingefetzt“ lesen sich denn auch die Geschichten aus dem versoffenen Alltag eines ebenso genialen wie verkannten Dichters. Meist angriffswütig, zwischendurch weinerlich. Unter all diesen Launen hat die dienstbare Ehefrau („das Loch“) zu leiden. Sie muss stets für reichlich Alkohol-Nachschub sorgen, ihm die lästigen kleinen Kinder vom Leibe halten, wenn er seine Räusche auspennt – und sie hat ihn nach all ihren Strapazen selbstverständlich oral zu befriedigen.

Solche Passagen scheinen idealtypisch zum Musterbuch eines früheren Feminismus zu passen: Männer sind halt Schweine. Der Kerl im Buch gibt sich jedenfalls alle Mühe, eins zu sein. In lichten Momenten weiß er selbst, dass er eïn Kotzbrocken ist, ein Möchtegern-Kraftmeier von der traurigen Gestalt. Daraus ergibt sich eine besondere Form der Ironie, sei sie nun freiwillig oder nicht.

Affäre ja – aber doch nicht mit einer Wildfremden

Nun der etwas widerliche Promi-Tratsch. Natürlich weiß man, dass Literatur das Leben nicht eins zu eins widerspiegelt. Wenn wir uns freilich an diese Erzählungen halten, so enthüllt Kroetz, dass er (oder eben seine literarische Ausformung) es im Suff mit seiner Schwiegermutter getrieben hat. Im biographischen Klartext wäre das keine andere als die im April 2005 verstorbene Schauspielerin Maria Schell. Wir wollen dies nicht als Tatsachenbehauptung verstanden wissen. Aber als Story „fetzt“ es. Zumal der Protagonist seiner Frau auch noch beibiegen will, es sei doch weniger schlimm, als wenn er mit einer Wildfremden gevögelt hätte. Bleibt ja in der Familie.

Irgendwo zwischen Bukowski und Hemingway?

Die Stories haben allemal Tempo und zuweilen bitteren Witz. Greifen wir mal hoch: Der trockene, schmucklose Stil liegt irgendwo zwischen Charles Bukowski und Ernest Hemingway, dessen Mythos Kroetz selbst mehrfach herbeizitiert. Er empfiehlt sich somit gleichsam als unser bajuwarischer Amerikaner.

Auch wenn man sich innerlich dagegen wappnet und wehrt, entfalten seine Geschichten einen gewissen Sog, eine wüste Faszination, etwa nach dem Husaren-Motto: dass der sich das traut!

Nebenher dementiert Kroetz, einst DKP-Mitglied, seine linke Vergangenheit aus den 70er Jahren. In einem fiktiven Interview – geführt bei 240 km/h in seinem Jaguar – brüllt der Autor heraus, er habe nie an die Arbeiterklasse gedacht, immer nur ans eigene Fortkommen: Er wollte nur „raus ausm Kellerloch“.

Franz Xaver Kroetz: „Blut & Bier – 15 ungewaschene Stories“. Rotbuch-Verlag, 155 Seiten, 16,90 Euro.

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ZUR PERSON

Franz Xaver Kroetz

  • Franz Xaver Kroetz (Bild) wurde am 25. Februar 1946 in München geboren, er wird heute 60 Jahre alt.
  • In den 1970er Jahren war er mit Theaterstücken wie „Wunschkonzert“, „Wildwechsel“ (1971 in Dortmund uraufgeführt), „Heimarbeit“ und „Stallerhof“ höchst erfolgreich.
  • Einem breiten TV-Publikum wurde Kroetz als Klatschreporter „Baby Schimmerlos“ in Helmut Dietls Serie „Kir Royal“ (1986) bekannt.
  • 1987 lernte Kroetz die Schauspielerin Marie-Theres Relin (Tochter von Maria Schell) kennen. 1992 heirateten sie, seit Anfang 2005 leben sie getrennt. Zwei Töchter und ein Sohn gingen aus der Ehe hervor.
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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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