Schönheit am Rande des Schreckens

Kommentar

Von Bernd Berke

Was hat der US-Künstler Spencer Tunick mit 850 Nackten in Düsseldorf angerichtet? War es etwa eine Form jener lebensnahen „sozialen Skulptur“, von der Joseph Beuys („Jeder Mensch ist ein Künstler“) zeitlebens geträumt hat? Nur bedingt.

Man muss das Körper-Werk gar nicht so avanciert finden. Im Grunde knüpft es an bei der akademischen Tradition sorgfältiger Aktstudien, mit denen sich Generationen von Künstlern geplagt haben. Der emotionale Raum, den Tunicks Aktion eröffnet, ist ungeheuer weit: Er reicht buchstäblich von Adam und Eva über die alten Griechen und Rousseau („Zurück zur Natur“) – letztlich bis nach Auschwitz…

Tunick malt oder zeichnet nicht, sondern lässt Menschen antreten und gebärdet sich so „diktatorisch“, wie es die Regisseure der Kultur mitunter zu tun pflegen. Vielleicht war es ja schon sein pubertärer Traum, Nackten Befehle zu erteilen.

Er nutzt einen grassierenden Exhibitionismus in unserer Spaßgesellschaft, der prompt auch die Fraktion der Voyeure anlockt. Es mag ja sein, dass aus dem bloßen Schauwert die eine oder andere, quasi-mystische Ur-Erfahrung erwächst. Wer weiß.

Dass der menschliche Leib noch immer ein Maß der (künstlerischen) Dinge ist, lässt sich kaum bestreiten. So hat auch dieses Spektakel nicht nur Banalität, sondern auch ein gewisses Quantum an flüchtiger Schönheit in die Welt gesetzt. Allerdings eine Schönheit ganz nah am Rande des Schreckens.

Mit Erotik hat das übrigens wenig zu schaffen, die ergäbe sich eher aus gekonnter Verhüllung. Siehe FKK-Strand: Prüder geht’s nirgendwo zu.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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