Die neue Sehnsucht nach dem Land – Interview mit Florian Illies über sein Buch „Ortsgespräch“

Von Bernd Berke

Mit „Ortsgespräch“ legt der Autor Florian Illies („Generation Golf“) jetzt ein Buch über seine kleinstädtische Herkunft vor. Die teilweise wehmütigen Schilderungen und Anekdoten führen zurück in seine Kindheit im hessischen Heimatort Schlitz, der gewiss für viele deutsche Provinzen steht. Die WR sprach mit Florian Illies über Stadt, Land und ein neuerdings gewandeltes Lebensgefühl.

Sind Sie der Metropolen überdrüssig?

Florian Illies: Nein. ich lebe sehr gern in Berlin. Doch in den letzten Jahren kann man ein auffälliges Phänomen beobachten: Leute aus meiner Generation bekennen sich, wieder zu ihrer provinziellen Herkunft. Früher sagten sie verschämt: Ich komme aus der Nähe von…Dortmund, Frankfurt, München oder dergleichen. Sie waren froh, endlich in der großen Stadt zu wohnen. Nun aber gibt es immer mehr Menschen, die geradezu mit Lust sagen, aus welchem Kuhdorf sie stammen und in welchem Fachwerkhaus sie aufgewachsen sind. Damit verknüpfen sich sinnliche Erinnerungen.

Hat das auch mit dem zunehmenden Alter zu tun?

Illies: Bestimmt. Offenbar befasst man sich ab einem gewissen Alter mehr mit den eigenen Wurzeln. Manche verklären es auch ein bisschen. Jedenfalls gehört es doch zur eigenen Identität. Seit einigen Jahren sieht man in den Städten überall diese Land Rovers – vermutlich auch ein zeichen von Sehnsucht nach dem Land. Und selbst kulinarisch entdecken viele die Heimat wieder: deutsche Rübchen, deutschen Riesling…

Gibt es denn das Landleben im ursprünglichen Sinne überhaupt noch?

Nicht mehr so, wie wir es uns in unseren Träumen, Klischees, Sehnsüchten vorstellen. Bis in die 70er Jahre hatten wie auf dem Land oft noch diese intakten Systeme: die eine Fabrik, die alle ernährte, der eine Arzt, der eine Pfarre, der „Tante Emma“-Laden. Gerade, weil das alles so nicht mehr existiert, ist die Sehnsucht danach sehr lebendig. Wenigstens am Wochenende will der Stadtmensch mal dort hin. Oder er holt sich Zeichen des Landlebens in die Stadt, wo sich der Alltag zwischen E-Mails, SMS-Botschaften und hastig getrunkenem „Coffee to go“ immer mehr beschleunigt hat. Wir sehnen uns also auch nach einem anderen Zeitrhythmus.

Wollen die jungen Städter jetzt etwa aufs Land ziehen?

Wohl kaum. Es geht nicht um eine neue Stadtflucht. Wenn man vom Land kommt, ist man ja auch froh über das, was die Stadt zu bieten hat. Aber ich wollte in meinem Buch mal die Blickrichtung ändern und Scheinwerfer auf die freundlichen Seiten richten: „Provinz“ heißt eben nicht nur Beengung, sondern: stabiles soziales Gefüge, eng geknüpfte Netze zwischen den Menschen – in der Nachbarschaft, im Verein und so weiter.

Und was ist mit der gegenseitigen Kontrolle?

Als ich jünger war, habe ich darin nur das Negative gesehen, ich fühlte mich ständig beobachtet: Hatte ich mal zu viel getrunken, war es am nächsten Tag buchstäblich Ortsgespräch. Dabei bedeutet der dörfliche oder kleinstädtische Zusammenhang vor allem Zugehörigkeit, menschliche Wärme. In großen Städten gibt es das ja im Ansatz ebenfalls: Da versucht man, sich im „Kiez“ die Stadt wieder ein wenig zu provinzialisieren, überschaubar zu machen – und freut sich, wenn man auf der Straße ein paar bekannte Gesichter sieht.

Hat es die Sehnsucht nach dem Land und dem „einfachen Leben“ nicht immer schon gegeben?

Wahrscheinlich schon bei den alten Römern. Neu ist die kommerzielle Aufladung. Denken Sie an eine Firma wie „manufactum“, die handgefertigte Produkte aus abgelegenen kleinen Städten wie Kultgegenstände anpreist und entsprechende Preise dafür verlangt. Auch daran merkt man, dass „das Ländliche“ nicht mehr selbstverständlich ist. In den 50er Jahren wollten alle aufsteigen, wollten in die Stadt, voran, voran. Jetzt reden wir von „Entschleunigung“ und hätten es gern etwas langsamer.

Ist die viel beschworene „Generation Golf“ damit auch zurückgekehrt zu familiären Werten, zu den eigenen Eltern?

Ja, wir sind älter geworden, wir sind jetzt um die 35 bis 40. Einige haben Familie, haben erste berufliche Enttäuschungen erlebt. Aber die meisten können und wollen nicht wirklich in ihre alten Heimatorte zurückkehren, aus denen sie sich einst befreit haben.

Und wo ist die notorische Genusssucht Ihrer Altersgenossen geblieben?

Auch auf dem Lande lässt es sich sehr genießerisch leben. Das muss sich nicht unbedingt in städtischen Luxusboutiquen austoben. Aber im Ernst: Der Markenkult in dieser Generation hat ohnehin deutlich nachgelassen. 1998 und 1999 hat das noch ziemlich bruchlos gestimmt. Da stand der Wind günstig, man dachte: „Alles geht!“ Junge Internet-Freaks wurden damals überall hofiert. Doch in den Jahren danach gab es viele biographische Abstürze in die Arbeitslosigkeit – nach dem Ende des Wirtschaftsbooms. Es war ein Schock für meine Generation. Jetzt haben wir mehr Realismus und Bodenhaftung. Und etwas mehr Erfahrung.

_____________________________________________________

Zitate aus dem Buch:

„Es gibt eine klare Altersgrenze, die das Leben im Ort regelt: Alle unter achtzehn sitzen nachmittags in Bushaltestellen und alle über achtzehn abends in der Kneipe. Wer als Mann keinen Schnurrbart und Bierbauch mit sich herumträgt, muss sehr gute Gründe dafür haben.“

„Dass etwa Tante Nati seit nunmehr fünfunddreißig Jahren dieselbe dreistellige Telefonnummer hat…“

Florian Illies: „Ortsgespräch“ (Blessing Verlag, 206 Seiten, 16,95 €).

_______________________________________________________

ZUR PERSON

Generation der Genießer

  • Florian Illies wurde 1971 in hessischen Provinznest Schlitz bei Fulda geboren. Vom meist gemächlichen Leben in dieser entlegenen Idylle handelt sein neues Buch „Ortsgespräch“.
  • Illies war bis zum Jahr 2004 Feuilleton-Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und erwies sich dort als Spezialist für Formen und Trends der Alltagskultur.
  • Mit seiner Frau Amélie von Heydebreck gründete er danach in Berlin die Kunst- und Lifestyle-Zeitschrift „Monopol“.
  • Bekannt wurde er durch seinen häufig zitierten Bestseller „Generation Golf“ (2000), dessen Titel zum Schlagwort wurde. Grundthese, leicht zugespitzt: Die um 1970 Geborenen seien überwiegend unkritische, unpolitische und auf schicke Markenware versessene Egoisten und Hedonisten, sprich: letztlich gewissenlose Genießer eines Wohlstands, den sie für ganz selbstverständlich halten.
  • 2003 erschien die Fortsetzung „Generation Golf zwei“ mit veränderten Ansichten: Illies‘ Generations-Genossen waren inzwischen vielfach in den Niederungen der Arbeitslosigkeit oder der fortwährenden, oft fruchtlosen Berufspraktika angekommen. Die Folge war eine tiefe Verunsicherung.

 

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 15 times, 1 visit(s) today

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
Dieser Beitrag wurde unter Bekenntnisse, Buchmarkt & Lesen, Gesellschaft, Luxus & Moden, Stadt Land Fluss abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.