Wenn Rubens dem Voodoo-Kult begegnet – Wirre Pläne zu einer „Weltkunstschau“ in den Essener Messehallen

Von Bernd Berke

Essen. Vollmundiger kann man eine Schau nicht ankündigen: Die „spektakulärsten Ausstellungsräume der Welt“ würden sich ab 10. Juli in fünf Essener Messehallen für eine „kulturelle Revolution“ auftun, und zwar 24 Stunden am Tag bei freiem Eintritt.

„Erstmals“, so tönen die Veranstalter weiter, werde man bei diesem „Event“ die Entwicklung der Kunst wirklich verstehen können. Das klingt so merkwürdig wie so manches am Projekt „art open“.

Die wahrhaft simple Formel, die uns zum Verständnis aller Künste führen, ja sogar „jede Idee erklären“ soll, lautet so: „Leben (Bekanntes) + Bewußtseinserweiterung (Innovation) = Kunst“.

Aha! So einfach ist das also. Ersonnen wurde die Wunderformel vom gebürtigen Essener Dieter Walter Liedtke (54), der auf Mallorca ein kleines Museum mit Selbstgemaltem betreibt, bisher aber vor allem durch die Erfindung eines „luftgepolsterten Turnschuhs“ auffiel, was nicht unbedingt als Qualifikation für die Weltspitze der Kunst taugt.

Ungenannte „Originalwerke“

Liedtke („Alles ist Kunst“) will sich in Essen bei seiner „Weltkunstausstellung“ nicht lumpen lassen. Hier ist nur Platz für eine kleine Auswahl aus dem bisherigen Wust marktschreierischer Pressemitteilungen: angebliche „Originalkunstwerke“ von Rubens, Picasso, Dalí, Beuys und vielen anderen (wobei bisher kein einziges Werk benannt wird); eine Schau über die Steinzeit; dazu die (natürlich) „europaweit erste“ Ausstellung zum Voodoo-Kult. Rubens und Voodoo – welch eine aparte Kombination!

Doch damit längst nicht genug im Gemischtwarenladen: Talkshows („Werden wir alle zu Genies?“), Filme, Konzerte von Klassik bis Techno, die bisher nicht so arg vermißte „Weltpremiere“ des Ex-Scorpion Hermann Rarebell mit seinem „Monte Carlo Pop Orchester“ und viel anderes Zeug füllen die Programmpläne.

Erleuchtung wie in einer Sekte

Dafür bürgt als Regisseur ein gewisser Vladimir Egorov, „am 25. Juni 1953 im Ural geboren“ und Absolvent der Moskauer Zirkusschule. Der gut Mann wird so zitiert, als habe er bei einer Sekte den Weg der Erleuchtung beschritten: „Als ich von der ,art open‘ hörte, fand ich meinen Lebensinhalt in Liedtkes Kunstformel wieder.“

Wahrhaft erstaunlich: Ruhrgebiets-Kunsttalente sollen ebenso präsentiert werden wie nicht weniger als 2000 (!) internationale Künstler, die vorführen sollen, warum diese Erde liebenswert ist. Namen? Fehlanzeige. Schließlich sollen die Besucher (man rechnet ganz locker mit einer Million bis zum 8. August – aber haben Sie schon mal ein einziges „art open“-Plakat gesehen?) ihren röhrenden Hirsch gegen wahre Kunst tauschen oder im Wettstreit auf allen möglichen Gebieten selbst kreativ werden, z. B. indem sie aus abgeschnittenen Haaren Bilder und Skulpturen zaubern. Gipfel: Eine Massenhochzeit „in vier Religionen“ soll die „spirituelle“ Bedeutung der Heirat beweisen. Ganz klar: Auch die Ehe ist ein Kunstwerk.

24 Stunden am Tag – alles kostenlos?

Überdies gehen die Veranstalter mit hochkarätiger Schirmherrschaft hausieren. Spaniens Königin Sofia soll ebenso eingewilligt haben wie Michail Gorbatschow und Norbert Blüm. Der hat sich darauf eingelassen, weil er sich mit Sofia und „Gorbi“ in bester Gesellschaft wähnte. Auch der Name Harald Szeemanns, des hochrenommierten documenta- und Biennale-Machers, ziert noch die „art open“-Werbung. Doch Szeemann soll seine Zusage als Ausstellungsleiter des Bereichs Bildende Kunst bereits zurückgezogen haben. Falls es so ist, war er wohl gut beraten.

Die Messe Essen, die die Inhalte der Schau lieber nicht kommentieren mag, teilt unterdessen mit, daß laut Ordnungsamt eine 24stündige Öffnungszeit auf keinen Fall in Frage komme. Gleichwohl wird noch damit geworben. Man stelle sich vor: Versicherungssummen, Wachdienst rund um die Uhr, Anmietung der Messehallen samt Freigelände – das kostet enorm. Und dies alles bei freiem Eintritt? Man wird sehen. Und man darf zweifeln.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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