Gehäuftes Dichterlob aus Dortmund – Das „Literarische Quartett“ gastierte in der neuen Botta-Bibliothek

Von Bernd Berke

Dortmund. Marcel Reich-Ranicki und die Seinen gastieren mit ihrem „Literarischen Quartett“ (ZDF) für gewöhnlich an Orten, die den schönen Künsten sehr zugeneigt sind. Gern plaudern sie beispielsweise in altehrwürdigen Universitäts-Städten wie Tübingen, in der Festspielstadt Salzburg oder zur Buchmesse in Goethes Geburtsstadt Frankfurt am Main. Nun aber ließen sie sich in Dortmund herbei.

Tagelang hatte sich das ZDF-Team in der Stadt- und Landesbibliothek umgetan, hatte Beleuchtungs-Feinheiten und dergleichen geprobt. In einigen Bereichen mußte dafür gar die Ausleihe eingeschränkt werden. Aber was tut man nicht alles für die Leute vom Fernsehen. Rund 150 Besucher durften die Live-Sendung am Ort des Geschehens genießen. Schön zu sehen, wie Sigrid Löfflers Teint (Minuten vor der Sendung) noch etwas nachgepudert wurde; nett zu hören, wie sich Marcel Reich-Ranicki nach dem Zustand des Mineralwassers erkundigte…

Als alles tadellos gerichtet war, fing’s denn auch an. Mag sein, daß man sich hier von Reich-Ranicki ein paar Einleitungssätze mehr erhofft hatte als nur die schlichte Mitteilung, man befinde sich diesmal in der neuen Bibliothek zu Dortmund, die von Mario Botta entworfen wurde. Punkt. Schluß. Schon schritt man zur üblichen Buch-Behandlung. Der kulturelle Wanderzirkus auf Durchreise. Wo waren wir eigentlich gestern?

Trösten wir uns damit, daß diesmal weder der Präzeptor noch seine Mitstreiter Hellmuth Karasek, Sigrid Löffler oder die Gastkritikerin Eva Demski zu Verrissen aufgelegt waren. Vielleicht hat ja die milde Stimmung auch ein ganz klein wenig am Genius loci (Geist des Ortes) gelegen?

Marcel Reich-Ranicki ist in der Runde ein vulkanisches Ereignis

Dermaßen gehäuftes, zumeist auch noch einhelliges Lob für die besprochenen Bücher hat man jedenfalls im „Quartett“ all die Jahre über wohl noch nie vernommen. Reich-Ranickis Schlußbemerkung, man sei kein verlängerter Arm der Verlags-Werbeabteilungen, schien diesmal beinahe nötig.

Sigrid Damms Abhandlung „Christiane und Goethe“? Ein Meisterwerk! Hanna Kralls „Da ist kein Fluß mehr“? Unvergleichlich! Ernst Weiß‘ „Der arme Verschwender“, James Salters „Dämmerung“, Erri de Lucas „Das Meer der Erinnerung“? Oh, allesamt auch nicht zu verachten.

Was man daheim am Fernsehgerät nicht mitbekommt: Reich-Ranicki versinkt, wenn er zwischendurch nicht gezeigt wird, immer mal wieder in eine Art Erschlaffung, in einen Dämmerschlaf, aus dem er freilich schlagartig, ja fast explosiv auffährt, sobald er das Wort ergreift. Der Mann ist schon ein vulkanisches Ereignis.

An witzigen Momenten fehlte es auch diesmal nicht. Man hätte das Publikum in der Bibliothek gar nicht, wie zuvor geschehen, eigens bitten müssen, eine lebhafte Zuhörerschaft zu sein. Der Streit, ob Goethe ein übler Opportunist gewesen sei, hatte einfach Sketch-Qualität. Hellmuth Karasek verstieg sich zur gewagten Behauptung, ein Genius, der Gedichte wie „Wanderers Nachtlied“ verfaßt habe, dürfe ruhig auch ein Fiesling gewesen sein. Und Reich-Ranickis rhythmischer, nahezu lyrischer Merksatz, als der Name des Serbien-freundlichen Dichters Peter Handke fiel, dürfte gleichfalls in die „Quartett“-Annalen eingehen: „Es wird gebeten, über Handke nicht zu reden“.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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