Von Zaubertafeln und explosiven Salzstreuern – Französische Zeichnungen der Gegenwart im Ostwall-Museum

Von Bernd Berke

Dortmund. Armer „Kartoffelschäler“. Auf dem gleichnamigen Bild des Franzosen Fabrice Hybert sitzt der krumm und grau gewordene Mann, ganz in sich zusammengesackt, auf einem kleinen Hocker.

Links neben ihm türmt sich ein gigantischer Berg ungeschälter Erdäpfel, und mit dem stattlichen Hügel rechts von sich scheint er auch noch nicht weit gekommen zu sein. Der Alptraum von einer Arbeit, die sich kaum noch bewältigen lässt, gemahnt fast an den Mythos von Sisyphus.

Das Bild gehört zu einer beachtlichen Auswahl von rund 80 Zeichnungen, die jetzt das Dortmunder Ostwall-Museum präsentiert. Sie stammen von zehn französischen Gegenwarts-Künstlern und gehören zum offenbar reichen Fundus des „Frac Picardie“. Das Kürzel Frac steht, für einen Fonds zur zeitgenössischen Kunst in der nordfranzösischen Provinz. Angesiedelt ist die Sammlung in Amiens, Dortmunds Partnerstadt seit gut 40 Jahren.

Doch was heißt hier „80 Zeichnungen“? Zum einen werden auch Grenzbereiche dieser Gattung erkundet, jene Bezirke also, wo das Zeichnerische fließend übergeht in andere Genres. Außerdem stimmt auch die Zahl nicht ganz. Denn allein Marc Couturiers Serie „Das Unendliche auf der Erde in einem gegebenen Raum“ umfasst 4032 jeweils 15 mal 10,5 Zentimeter große Einzelstücke. In Dortmund sind „nur“ 1500 zu sehen. Es scheint, als habe der Künstler alle nur denkbaren Schraffuren erproben wollen. Die Gesamtwirkung des wandfüllenden Gewimmels ist schon famos.

Wird die Familie jemals zum Essen kommen?

Völlig anders geht Stéphane Lallemand zu Werke. Als geradezu triviales zeichnerisches Medium nutzt er kleine „Zauber“-Täfelchen, wie sie in Spielwarenläden zu finden sind. Staunenswert, wie er es vermag, nur durch das Bewegen zweier kleiner Knöpfe im engen Koordinatenraster der Tafel klassische Akte zu erzeugen. Sogar eine passable Version der berühmten „Nackten Maya“ Von Goya ist dabei.

Seitenwechsel: Annette Messager ist ersichtlich schlecht auf die Männer zu Sprechen. Ihre Bilder mit Buchstaben-Initialen zeigen in die Lettern verkeilte, fiese Kerle, die gleich beschimpft werden: „I“ steht für Idiot, „M“ für Macho, „Z“ für Zéro, womit der Typ als „Null“ abgetan wäre. Ein kleines Alphabet des Geschlechterhasses.

Nahezu lieblich wirken hingegen die bunten Szenen von Christophe Vigouroux. Doch es sind derbe oder geisterhafte Entgleisungen und Menetekel des Alltags, zudem Inbilder der Einsamkeit: Ein Mann pinkelt heimlich ins Waschbecken, eine Mutter brüllt verzweifelt „à table“ (also „Essen kommen!“), als sei die Familie schon längst für immer fort.

In eine ähnliche Richtung weisen auch die rätselhaften Erfindungen der Anne-Marie Schneider. Ihre Kohlezeichnung zweier Salzstreuer lässt fürchten, die an sich harmlosen Dinger könnten im nächsten Moment explodieren. Der international vielleicht ruhmreichste Teilnehmer heißt Jean-Charles Blais. Seine Serie mit Kopf-Fragmenten ist ein subtiles Experiment mit der Verteilung schwarzer und weißer Zonen im Bildgeviert, es handelt sich also um Kunst für Kenner, die feinste formale Nuancen auslotet. Etwas handfester wirken jene Bilder menschenleerer Hafen-Ecken, deren Melancholie Yvan Salomone eingefangen hat.

„Frac“-Direktor Yves Lecointre sagt, in Frankreich sei das Genre der Zeichnung längst nicht so anerkannt wie in Deutschland. Dafür aber hat es sich, nimmt man die Dortmunder Schau zum Maßstab, sehr facettenreich entfaltet.

6. Februar bis 9. April. Di-So 10-17, Do 10-20 Uhr, Mo geschlossen. Eintritt 4 DM, Katalog 29 DM

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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