Rituale statt Rebellion – Interview mit Martin Mosebach

An Martin Mosebach (56) scheiden sich manche Geister: Den Einen gilt der Frankfurter Schriftsteller und Büchner-Preisträger als Vorbote oder gar Leitgestalt einer „konservativen Wende”, die Anderen rühmen Werk und Wirkung. Jetzt hat Mosebach seinen Roman „Der Mond und das Mädchen” bei einer Lesung im Dortmunder Harenberg-Center vorgestellt – Gelegenheit zu einem Gespräch.

Was hat sich mit dem Büchner-Preis für Sie verändert?

Martin Mosebach: Die wichtigste Änderung war schon eingetreten, nämlich das Bewusstsein, dass ich jetzt einen Einschnitt erreicht habe in meiner Arbeit. Ich möchte einen Neuanfang versuchen. In welche Richtung, das wird sich zeigen. Der Preis hat das Gefühl eines Einschnitts nur noch bestätigt. Aber meine Romane unterscheiden sich ohnehin sehr stark voneinander. Ich bin niemals den gleichen Pfad gegangen.

Was können Sie mit dem Begriff „konservativ” anfangen”, der Ihnen immer wieder angeheftet wird?

„Konservativ” empfinde ich als ein sehr defensives Wort, ein Wort in Verteidigungshaltung. Das entspricht nicht meinem Lebensgefühl. So ängstlich bin ich nicht. Aber die Worte „aggressiv” oder „offensiv” wären auch falsch. Ich beziehe mich gar nicht so sehr auf Andere. Ich bin nicht besonders stark auf die Öffentlichkeit hin ausgerichtet.

Ganz anders als Grass?

Ja, er definiert sich selbst als politischen Menschen. Das trifft auf mich nicht zu.

Sie haben gefordert, die alte lateinische Liturgie in der Katholischen Kirche wieder einzuführen. Haben Sie damit etwas bewirkt?

Nun, eine Debatte habe ich bestimmt angeregt. Sie schwelte schon lange, wurde aber von der offiziellen Kirche nicht zugelassen. Ich glaube, dass der Ritus ein essentielles Bedürfnis ist – für die Religion, aber auch ganz allgemein für die Humanität. Der uralte Kultus verbindet uns mit der ganzen Menschheitsgeschichte. Das rituelle Empfinden ist im Westen seit längerer Zeit verkümmert, aber dabei darf es nicht bleiben.

Sie sind Jurist und haben im Nachhinein gesagt, sie hätten dieses Fach gern engagierter studiert. Warum?

Weil alles, was man wirklich intensiv lernt, letztlich interessant ist. Etwas langweilig zu finden, ist eigentlich ein Zeichen für Unerwachsenheit. Doch leider habe ich schlampig studiert. Die juristische Sprache ist eine Schule der Klarheit und Präzision.

1968 mit dem Rücken
zum Zeitgeist erlebt

Wie sehen Sie die Rebellion um 1968? Sind Sie „Anti-Achtundsechziger”?

Ich bin ein „Nicht-Achtundsechziger”. Ich habe mit dem Rücken zu allen Phänomenen von „68” gelebt. Auch die kulturellen Aspekte der Zeit – wie etwa die Musik – haben mich nicht berührt. Ich war in einer Art Emigrations-Zustand.

Ging das denn damals?

Ja. Ich habe die bedenkliche Gabe, Dinge, die mir nicht passen, zu verdrängen. Man selbst stellt ja auch eine Welt dar. Die war mir wichtiger.

Viele Ihrer Romane spielen in Frankfurt am Main. Sie haben Frankfurt eine der hässlichsten Städte genannt, die aber – als Vision – auch schön sein könnte.

Ich weiß gar nicht so genau, worin mein Verhältnis zu Frankfurt besteht. Die Stadt ist mir vollkommen selbstverständlich. In den Romanen wird sie zu einer Stadt der Phantasie, und meine Schilderungen strotzen vor Unwahrscheinlichkeiten. Ich schreibe nicht nach Stadtplan. Aber die Sprache erzeugt die Suggestion, es sei von realen Orten die Rede. Und schauen Sie mal, wie Nabokov oder Proust ihre Elternhäuser beschrieben haben. Wie krass sich das von der Realität unterscheidet! Romane sind eben keine Fotografien und keine Reportagen.

Und die Hässlichkeit?

. . . wird immer dann als besonders schmerzlich empfunden, wenn man die Schönheit noch kennt, die durch sie verdrängt worden ist. Denken Sie an den Kölner Dom und die absurde Domplatte. Wer nicht weiß, wie der Domberg vorher ausgesehen hat, wird unter dieser schwächlichen Brutalität viel weniger leiden. Es scheint, als habe im 20. Jahrhundert Schönheit nur entstehen können, wenn sie nicht beabsichtigt war: Fabriken sind gelungen, Opernhäuser fast nie.

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INFO

Martin Mosebach wurde 1951 in Frankfurt am Main geboren. Er studierte Jura in Frankfurt und Bonn. Seit 1980 ist er freier Schriftsteller. Er lebt in Frankfurt, schreibt seine Bücher aber meistens im Ausland, um den nötigen Abstand zu haben.So spielt zwar auch sein jüngster Roman „Der Mond und das Mädchen” (Hanser Verlag) in Frankfurt. Verfasst hat ihn Mosebach aber in Marokko.

Weitere Romane: „Das Bett” (1983), „Westend” (1992), „Die Türkin” (1999) und „Der Nebelfürst” (2001).

Der Georg-Büchner-Preis, den Mosebach in diesem Jahr erhalten hat, gilt als wichtigste deutsche Literaturauszeichnung.

Aufsehen erregte Mosebachs Dankrede, in der er die Französische Revolution als Gesinnungsterror brandmarkte und zur Nazi-Diktatur in Beziehung setzte.

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(Der Beitrag stand am 30. November 2007 in der „Westfälischen Rundschau“)

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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