Ein Rundgang durch das Reich der Zufälle – Buchmesse: Sigrid Löffler, Harry Potter, Beatles und Nobelpreisträger Gao Xingjian

Aus Frankfurt berichtet Bernd Berke

Trübes, kühles Wetter in Frankfurt. Ausgesprochenes Bücherwetter. Hinein also in die Hallen der Buchmesse, hin zu den Büchermenschen.

Man muss sich Fix- und Zielpunkte schaffen, sonst droht man schier unterzugehen im Reich der Zufälle, das hier aus 380.000 Titeln besteht. Da trifft es sich, dass Sigrid Löffler (ehemals beim „Literarischen Quartett“) just die zweite Nummer ihrer Zeitschrift „Literaturen“ vorstellt und eine erste Bilanz ihres ehrgeizigen Projekts zieht. Von der ersten Nummer wurden rund 70.000 Exemplare gedruckt, nun sind es bereits 103.000. Buchhandel und Kioske hätten mehr geordert als zuvor, auch die Abo-Zahlen entwickelten sich ordentlich.

Löffler, leicht pikiert über das vielfach skeptische Echo auf die erste Ausgabe: „Viele Leser sind mir lieber als gute Kritiken.“ Trotzdem: Ein paar „Feinjustierungen“ habe man vorgenommen am Konzept, besonders in optischer Hinsicht. Auch den vierten Band von „Harry Potter“ bespricht man jetzt.

Apropos: Man kommt um den Millionen-Seller einfach nicht herum. Am Stand des Hamburger Carlsen-Verlages ist den Mitarbeitern die halbwegs überstandene Hektik rund um die Potter-Mania noch anzumerken. Sie schauen etwas erschöpft, aber glücklich drein. Ja, die erste Auflagen-Million sei restlos abgesetzt, man drucke nun eilends nach, denn es gebe schon 500.000 weitere Vorbestellungen. Nein, die Autorin Joanne K. Rowling werde nicht zur Buchmesse kommen, vielleicht befürchte sie einen gar zu großen Rummel. Nächstes Jahr wahrscheinlich.

Schwerpunkt mit Comics

Lässt man sich durch die Hallen treiben, so hat man den Eindruck, dass Kinder- und Jugendliteratur tatsächlich auffälliger und selbstbewusster präsentiert wird als in den Vorjahren. Vielleicht liegt’s ja auch am Comic-Schwerpunkt, den man kurzerhand mit verbucht, obwohl doch die fanatischsten Sammler gewiss Erwachsene sind, manchmal auch erwachsene Kindsköpfe.

Viele Comics bleiben ewig jung, einige Pop-Gruppen desgleichen: Die „Beatles“ ziehen immer noch – und wie! Ullstein präsentiert großflächig seine opulente „Beatles Anthology“, ein Werk, das wahrlich Besitzwünsche weckt. Bei Heyne hängt man sich mit „Die Beatles – Wie alles begann“ an den Nostalgie-Trend, ein weiterer Verlag hat rasch ein illustriertes Songbook neu aufgelegt. Und das sind nur die Zufallsfunde in Sachen „Fab Four“.

Warum hat die Jugend des Westens Mao verehrt?

Letztes Jahr war’s Günter Grass, diesmal ist es Gao Xingjian, der die Messe mit seiner Anwesenheit schmückt. Es ist doch immer wieder erhebend, einen frisch bestimmtenLiteraturnobelpreisträger leibhaftig zu sehen. Das dachten sich wohl auch die zahllosen Kamerateams und Fotografen der Weltpresse, die gestern den Chinesen in ein wahres Lichtgewitter tauchten. Tatsächlich wirkt Gao, dessen Werke in China strikt verboten sind, schon fast wie ein Europäer, seine Pressekonferenz absolvierte er auf Französisch.

„Comme un miracle“ (wie ein Wunder) sei ihm die Preisvergabe erschienen. Jaja, Gerüchte über Mauscheleien im Preiskomitee habe er „gestern vernommen“, dazu wolle er aber nun wirklich nichts sagen. In Anlehnung an den Polen Witold Gombrowicz, der gleichfalls Im Exil gelebt hat, rief Gao aus: „China – das bin ich.“ Will heißen: Das kommunistische Regime habe alle guten alten chinesischen Traditionen zerstört, er aber wolle sie aufsuchen und aufrecht erhalten.

In Hongkong und Taiwan sei er gelegentlich noch gewesen, doch er habe kaum Hoffnung, jemals das festländische China wieder zu sehen. Maos „so genannte“ Revolution sei „ein Wahnsinn, ein Albtraum“ gewesen. Er, Gao, frage sich bis heute, wieso die Jugend des Westens diesen Mann habe bewundern können. Jaja, vor mehr als dreißig Jahren war es so. Und schon damals sang John Lennon mit den „Beatles“ dagegen an („Revolution“). So schließt sich der Kreis.

Frankfurter Buchmesse: Bis einschl. Freitag für Fachbesucher, Samstag/Sonntag (21. und 22. Oktober) auch für Privatleute. 9-18.30 Uhr, Tageskarte 14 DM. Messekatalog (Buch und CD-Rom) 35 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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