Von Bernd Berke
Jetzt ahnen wir, warum Borussia Dortmund 1997 gegen Juventus Turin das Finale der Champions League gewinnen konnte. Der spanische Autor Javier Marias („Mein Herz so weiß“) hat es 1994 vorausgesehen, als er seinen jetzt bei uns erschienenen Roman „Morgen in der Schlacht denk an mich“ schrieb: Juventus ist nachhaltig geschwächt, weil in Turin der Satanskult überhand genommen hat.
Der Ich-Erzähler des Romans, der über Hunderte von Seiten geisterhaft anonym bleibt und sich uns schließlich mit dem Namen Victor vorstellt, entnimmt den Befund einer italienischen Zeitung.
Diesem Victor ist nichts Satanisches, aber doch Gespenstisches widerfahren: Er hat Marta, deren Gatte gerade geschäftlich in London war, daheim besucht, mit ihr gespeist und sich schon auf den erotischen „Nachtisch“ gefreut. Doch da fühlt sich Marta plötzlich schlecht und immer schlechter. Sie stirbt schließlich in seinen Armen. Ein unerklärlicher, fast schon lachhaft absurder Tod. Martas zweijähriger Sohn bleibt allein im Kinderbettchen zurück. Als der Erzähler die Wohnung verläßt, nimmt er die Kassette mit rätselhaften Stimmen von Martas Anrufbeantworter mit und es sind 80 Romanseiten vorüber.
Bereits „Mein Herz so weiß“ begann ja mit einem solch mysteriösen Todesfall. Auch hat der anglophile Marias, 1997 Nelly-Sachs-Preisträger in Dortmund, erneut seinen Romantitel bei Shakespeare entliehen. Und wiederum bildet die gängige Marotte, halb angefangene Spielfilme im Fernsehen möglichst ohne Ton laufen zu lassen und irritiert dem verlorenen Zusammenhang nachzusinnen, einen Schwer- und Ankerpunkt der meist unendlich langsam sich fortwälzenden Erzählbewegung.
Charaktere sind nur Bausteine in einem Rede-System
Es gibt etliche weitere Parallelen zum vormaligen Bestseller. Hat Marias also sein Themenspektrum gefunden und gefestigt, oder soll man sagen: Er hat sich darin verfangen und verstrickt?
Mit Martas Tod beginnt eine Art Spuk, der Erzähler selbst kommt sich namenlos unwirklich vor. Auch andere Menschen erscheinen ihm wie verwunschen: Ob eine Straßenhure In Madrid identisch mit seiner Ex-Ehefrau ist, dessen ist Victor nicht einmal gewiß, als sie für Geld mit ihm schläft. Kurzum: Er fühlt sich wie auf der „Rückseite der Zeit“. Und er wird niemals müde festzustellen, daß ohnehin alles menschliche Sein so flüchtig wie geringfügig sei und der allfälligen Auflösung entgegenstrebe. Kaum variiert, werden derlei Denkfiguren immer wieder umständlich aufgegriffen und seitenweise nahezu wortgleich wiederholt. So kommt es, daß der Erzählstrom häufig stockt und quälend gestaut wird.
Auf verschlungenen Wegen lernt Victor, gleichsam ein Spion im Haus des Todes, nach und nach Martas Angehörige kennen – ihre Schwester Luisa, ihren Vater, den alten Tellez, am Ende ihren Ehemann Dean, der auf den allerletzten Seiten noch eine Enthüllung nachliefert.
Doch nur tapfere Leser werden sich dahin durchkämpfen. Die Figuren werden kaum zu Charakteren, sondern nur zu Bausteinen eines Rede-Systems. Sie alle äußern sich letztlich im gleichen Stil und greifen immer wieder exakt jene „philosophischen“ Stichworte auf, die der Erzähler längst vorgegeben hat. Kreuz- und Querbezüge werden eher künstlich herbeigeredet als kunstvoll geknüpft. Selbst der spanische König, dem auch ein Kapitel-Auftritt vergönnt ist, findet nicht aus diesem geschlossenen Kreislauf einer zum Fatalismus neigenden Melancholie heraus. Dieser Roman tuckert wie eine trage Umwälzpumpe vor sich hin: Alle bekräftigen immer wieder dasselbe…
Javier Marias: „Morgen in der Schlacht denk an mich“. Roman. Klett-Cotta, 428 Seiten. 44DM.