Im Räderwerk der Korruption – Stefan Zweigs „Volpone“ nach Ben Jonson im Dortmunder Schauspiel

Von Bernd Berke

Dortmund. Schöne Frucht der Vergeßlichkeit: Als Stefan Zweig 1927 Urlaub in Südfrankreich machte, wollte er den „Volpone“ des Ben Jonson (1572-1637) übersetzen. Doch die englische Originalausgabe fehlte im Gepäck. Zweig machte sich an eine freie Nachdichtung – und so haben wir im Deutschen eine gar muntere Commedia über die Folgen der Habsucht. Die Rarität ist jetzt im Dortmunder Theater zu besichtigen.

„Eine lieblose Komödie“ nennt Zweig seine Bearbeitung von „Ben Jonsons Volpone“. Lieblos, weil keine glücklichen Paare sich finden – und weil sich eh alles um Neid und Gier dreht. In Volpones Villa (sparsam effektive Bühnenbilder: Thomas Gabriel) sind die Wände gülden, sie triefen aber, als klebe das Blut der Ausgeplünderten daran.

Volpone ist ledig, kinderlos und reich. Er hörtet etliches Gold und Zechinen in seiner Truhe. Und er macht sich einen Hauptspaß daraus, den Todkranken zu mimen. Denn so lockt er allerlei Erbschleicher an, die – nach einem günstigen Testament lechzend –Vorleistungen in Form von Gaben und „Freundschafts“-Diensten erbringen. Treten sie an sein vermeintliches Sterbelager, stöhnt und zittert Volpone sich was zurecht, sind sie fort, so springt er auf und freut sich, die Trottel genasführt zu haben.

Claus Dieter Clausnitzer als Volpone (zu Deutsch: „Fuchs“) zeigt sehr prägnant das barocke Behagen in solcher Bosheit, aber auch das als baldige Umspringen in erneuten Unmut. Seine Freude am gelungenen Betrug währt nie lang. Wie die anderen immer unverschämter nach seinem Besitz grapschen, so drängt seine Sucht, sie allesamt zu düpieren, ins immer Größere und Gröbere – und er zwingt seinen Diener Mosca, stets neue Teufeleien ins Werk zu setzen. Bis das Ganze gerichtsnotorisch wird.

Es ist, als lasse Clausnitzer andeutungsweise auch andere Rollen durchscheinen: Brechts sinnlichen „Galileo Galilei“ und – eingedenk der Fremdheit des reichen Levantiners Volpone in Venedig – wohl auch Shakespeares jüdischen Kaufmann von Venedig, den „Shylock“. So vielschichtig und so hintergründig kann man also den Volpone anlegen.

Rundherum genießt man süffige Typen-Komödie (Regie: Alexander Seer). Die Erbschleicher tragen Tiernamen des Fabelreichs und sind doch kenntliche Gesellen: Winkeladvokat Voltore („Geier“, Günter Burchert) zuckt wie eine mechanische Marionette seiner Gier. Der in eine braune Strickjacke gezwängte, in gelben Schuhen watschelnde Kaufmann und eifersüchtige Haustyrann Corvino („Rabe“, Jürgen Uter), der klapprige alte Wucherer Corbaccio („Habicht“, Andreas Weissert) sowie die verhurte, breitmäulig-ordinäre Canina („Kaninchen“, Felicitas Wolff) entstammen gleichfalls dem Kabinett drastischer Komik.

Mosca („Schmeißfliege“, Jörg Ratjen), beweglichste Figur, muß lediglich an den richtigen Strippen ziehen, schon sind diese Leute bereit, ihre Kinder und Frauen für Mammon zu opfern: „Corbaccios Sproß Leone („Löwe“, Thomas Klenk) wird flugs enterbt, Corvinos tugendsame Gattin Colomba („Taube“, Stephanie Japp) dem Volpone als Gunstbeweis zugeführt. Der Mensch – ein berechenbares Räderwerk der Korruption.

Schön herausgearbeitet sind die Rollen-Details. Auch wer gerade nicht spricht, spielt seinen Part gestisch konzentriert weiter. Aufschlußreich die Legierungen der Gefühle, wenn etwa Volpone mitten im Husten lachen muß oder bei Corbaccio der Hang zum Golde und die Geilheit ineins fallen, als er ein kostbares Geschmeide am Busen Caninas erblickt. Pralles Theater, prächtiger Beifall.

Termine: 6., 7., 15. und 16. Februar, jeweils 19.30 Uhr. Karten: (0231) 16 30 41.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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