Expedition zu den Grenzen der Farbe – Malerei von Raimund Girke in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Manchmal erfaßt den Künstler Raimund Girke (65) eine diebische kleine Freude, wenn er in Biographien gewisser Kollegen solche Sätze liest: „Bekannt durch Installationen. Malt seit 1992 wieder.“ – „Dann lache ich leise in mich hinein“, gesteht Girke. Und warum?

Der Documenta-Teilnehmer ist – durch alle Jahre und Moden hindurch – nicht vom Tafelbild abgekommen. Niemals hat er Installationen oder Objekte verfertigt, obwohl dies auf dem Markt schnellen Gewinn abgeworfen hätte. Nun sind die anderen scharenweise reumütig auf den Pfad der Tradition zurückgekehrt. Auf diesem Königsweg ist Girke den meisten längst enteilt.

Mit welch rarer Konsequenz sich Girke treu geblieben ist, gerade indem er sich mit weiser Selbstbeschränkung weiterentwickelt hat, belegt eine Werkschau mit 43 Arbeiten im Wuppertaler Von der Heydt-Museum.

Leicht konsumierbar sind solche Bilder nicht. Beim raschen Rundgang dürfte man nur Abstufungen von Grau und Weiß wahrnehmen und sich düpiert fühlen.

Tatsächlich ist dieser Künstler ein „Fundamentalist“, der den Schwingungen einiger besonderer Farben und Tönungen ohne Unterlaß nachspürt. Und so entlockt er dem Weiß ungeahnt spirituelle Licht- und Schatten-Wirkungen, führt er das Grau bis an die Grenze beseelter Stille und schichtet Schwarz oder Blau zu lodernden Wallungen.

In der zunächst schlicht scheinenden Reinheit des Malens verbirgt sich meditative Fülle. Girkes Ziel: „Mit ganz wenig Farbe sehr farbig wirken.“ Und: „Dabei lieber auf hohem Niveau scheitern als sich auf niedrigem zufriedengeben.“

Auf einem Bild von 1953, noch aus der Studienzeit, sind spätere Elemente schon beisammen: die vermeintlich frei fließende, aber doch streng gegliederte Fläche; die Pinselführung, die zuweilen an einen Schriftverlauf erinnert; die fernen Anklänge an natürliche Figurationen wie Wellenschlag oder Gesteinsmassen.

Girke arbeitet vorzugsweise seriell, stellt also Gruppen von verwandten Arbeiten zusammen. Wenn sie – wie in Wuppertal – sinnvoll gehängt werden, so ergeben sich optische „Übersprünge“ von Bild zu Bild, als walte da ein Magnetismus. Titel wie „Gleichmaß“, „Schweigen“ oder „Ruhiger Ablauf“ stimmen auf geduldige Betrachtung ein.

Fernöstliche Philosophie (Lao-Tse) ist eine Quelle dieser Kunst. Girke hat sich aber auch eingehend mit Genies der delikaten Farbbehandlung wie Tizian, C. D. Friedrich und Cézanne befaßt. Große Tradition, wenn sie zeitgenössisch anverwandelt wird, geht ihm allemal über Trends. Wer will ihm da widersprechen?

Bis 31. März im Von der Heydt-Museum (Wuppertal, Turmhof 8). Di-So 10-17 Uhr, Do 10-21 Uhr. Katalog 45 DM.

 

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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