Tagesarchive: 15. Juli 1989

Miniaturen einer Weltflucht – Wilhelm Genazinos „Der Fleck, die Jacke, die Zimmer, der Schmerz“

Von Bernd Berke

Mit seiner Romantrilogie „Abschaffel“, diesen äußerst präzisen Beobachtungen aus dem bundesdeutschen Angestelltenalltag, ist Wilhelm Genazino zu einem der interessantesten bundesdeutschen Autoren geworden. Individuelle Besessenheiten schilderte er dort zum Erschrecken treffend, gerade weil er das gesellschaftliche Umfeld nicht aus dem Auge verlor.

Jetzt legt Genazino Miniaturen einer Weltflucht vor. Auch dieses Buch trägt den Gattungstitel „Roman“, doch das täuscht. Die Kurzkapitel fangen oft nur Augenblicke ein. Die Erzählweise beschreibt keinen „großen Bogen“, sie konzentriert sich auf unscheinbar kleine und kleinste Momente am Rande. Gelegentlich verfällt Genazino dabei in Banalitäten oder in abgehobenen Sensibilismus. Doch weitaus öfter gewinnt er „Kleinigkeiten“ verblüffende, ja manchmal geradezu großartige Beobachtungen ab.

Der Ich-Erzähler, eine nicht näher definierte Künstler-Existenz, befindet sich im Dauerkonflikt mit … Weiterlesen

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Der „Tangospieler“ hat Heimweh nach der Zelle – Christoph Hein schildert groteske Zustände in Leipzig

Von Bernd Berke

Dallow hat so gut wie nichts angestellt, trotzdem ist er für zwei Jahre ins Gefängnis gekommen. Sein „Verbrechen“ wird in diesem Roman denn auch gar nicht großartig benannt, sondern erst spät und eher beiläufig erwähnt: Bei einem mäßig kritischen Studentenkabarett hat er an einem einzigen Abend als Ersatz-Pianist Tango gespielt. Die falschen Leute haben zugehört.

Wir sind in Leipzig, die Geschichte spielt im Jahr 1968. Der „Prager Frühling“ und sein Ende unter tätiger Beihilfe von DDR-Truppen grundieren die Handlung mit einer Atmosphäre zwischen Hoffen, Bangen und Resignation. Die Stadt Leipzig und das Leben dort erscheinen in illusionslosen Schilderungen als gesichts- und beziehungslos, leer, mitunter verroht.

In knapper, präziser Sprache, spannend zu lesen, schildert DDR-Autor Christoph Hein die … Weiterlesen

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