Von Bernd Berke
Dallow hat so gut wie nichts angestellt, trotzdem ist er für zwei Jahre ins Gefängnis gekommen. Sein „Verbrechen“ wird in diesem Roman denn auch gar nicht großartig benannt, sondern erst spät und eher beiläufig erwähnt: Bei einem mäßig kritischen Studentenkabarett hat er an einem einzigen Abend als Ersatz-Pianist Tango gespielt. Die falschen Leute haben zugehört.
Wir sind in Leipzig, die Geschichte spielt im Jahr 1968. Der „Prager Frühling“ und sein Ende unter tätiger Beihilfe von DDR-Truppen grundieren die Handlung mit einer Atmosphäre zwischen Hoffen, Bangen und Resignation. Die Stadt Leipzig und das Leben dort erscheinen in illusionslosen Schilderungen als gesichts- und beziehungslos, leer, mitunter verroht.
In knapper, präziser Sprache, spannend zu lesen, schildert DDR-Autor Christoph Hein die Situation Dallows nach der Entlassung aus dem Gefängnis. Dallow, 36 Jahre alt und ohnehin vor der vielbeschworenen Krise in der Lebensmitte stehend, hatte durch das Gerichtsurteil seine Dozentenstelle als Historiker an der Uni verloren.
Ohne Halt und Ziel irrt er nun herum, hat allzu viel Zeit nachzudenken, läßt sich treiben. Mehrfach lehnt er ein durchsichtiges „Job-Angebot“ des hartnäckigen Staatssicherheitsdienstes ab. Eltern, ehemalige Freunde und Bekannte kommen ihm fremd vor, er fühlt sich wie aus der Zeit gefallen. Irgendwann, nach einigen nichtigen Abenteuern in Bars und Betten, stellt er entsetzt fest, daß er eigentlich längst „Heimweh nach der Zelle“ hat und unfähig zur Freiheit ist. Einer, dem einfach nicht mehr zu helfen ist? Oder einer, der sich an der Welt wieder reiben will, aber überall abgleitet?
Die Wirklichkeit gleicht einem schlechten Witz: Ebenso lachhaft wie zuvor der Grund für Dallows Verhaftung, sind schließlich die Umstände seiner Rehabilitierung. Lachen und Verzweiflung sind am Ende eins – fast wie in den besten Büchern des Exil-Tschechen Milan Kundera. denen Christoph Heins Roman durchaus ebenbürtig ist.
Christoph Hein: „Der Tangospieler“. Luchterhand-Verlag. 217 S., 29,80 DM.