Monatsarchive: Juli 1990

Die Seele in Bilder eingebrannt – Vor 100 Jahren nahm sich Vincent van Gogh das Leben

Von Bernd Berke

Es gibt keinen zweiten Mailer, der sein zerrüttetes Ich so lodernd in Bilder eingebrannt hat. Es gibt kaum einen weiteren, dessen Farben so übernatürlich gleißen können wie etwa das Gelb seiner Sonnenblumen. Und es gibt keinen anderen, über den so viele Legenden in Umlauf sind, der ein derart exemplarisches „Künstlerleben“ geführt hat (oder hat „e s“ nicht vielmehr ihn in alle Höhen und Tiefen mitgerissen?). Hollywood hätte es nicht besser erfinden können.

Vincent van Gogh, der nach Umfragen beliebteste aller Maler, hat sich am 27. Juli 1890 eine Streifschußkugel in den Leib geschossen; am Sonntag vor genau 100 Jahren ist er daran gestorben. Es ist nicht einmal gewiß, ob dies eigentlich nur ein „Warnschuß“ sein sollte, oder … Weiterlesen

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Gegen die Herrschaft des Todes schreiben – Elias Canetti wird 85

Einer der letzten Schriftsteller mit universalem Gepräge: EIias Canetti überzeugt als Romancier ebenso wie als Essayist („Das Gewissen der Worte“), als Dramatiker („Die Hochzeit“) ebenso wie als Theoretiker – und das nicht nur im geisteswissenschaftlichen Bezirk: „Man kann heute nicht mehr schreiben, ohne etwas von Naturwissenschaften und Technik zu verstehen“. Heute wird der Literatur-Nobelpreisträger des Jahres 1981, der 1975 auch den Dortmunder Nelly-Sachs-Preis erhielt, 85 Jahre alt.

Aufklärer im umfassenden Sinn, gehört er zu den Autoren, zu denen man schon nach wenigen Seiten Vertrauen fassen kann, so daß man geneigt ist, ihm auch durch gewagte Gedankengänge zu folgen. Ein höchst empfehlenswerter „Einstieg“ in sein Werk ist das 1987 erschienene Buch „Das Geheimherz der Uhr“ – genauer als in dieser aphoristischen … Weiterlesen

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Kongreß über Kunst und Psychiatrie erkundet die „Heilkräfte“ der Kultur

Von Bernd Berke

Münster. Die Vergangenheit ist nicht vorbei: Wenn vom 1. bis zum 5. Oktober rund 500 Experten in Münster ihren Kongreß „Kunst und Psychiatrie“ abhalten, wollen die deutsehen Teilnehmer immer noch Schäden aus der NS-Zeit beheben.

Nirgendwo sonst hätten sich seit jenen Jahren Vorurteile gegen psychisch Kranke so hartnäckig festgesetzt wie in Deutschland, ließen die Kongreß-Organisatoren gestern wissen. Da treffe es sich gut, daß man vom Nachbarn mehr Toleranz und Offenheit lernen könne. Denn die Niederlande seien weltweit führend im gezielten therapeutischen Einsatz der Künste. Während in unseren Kliniken bildende Kunst, Tanz oder Theaterspiel oft nur als „Beschäftigungstherapie“ verabreicht würden, gelte kulturelle Betätigung in den Niederlanden als unverzichtbarer Behandlungsfaktor.

Veranstalter des Wissenschaftler-Treffens ist denn auch der 1975 gegründete … Weiterlesen

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Talent an den NS-Staat verschleudert – Bildhauer Arno Breker wird 90

Am Rande eines einschlägigen Gerichtsverfahrens fiel einmal der Satz, die Filmerin Leni Riefenstahl habe während der NS-Zeit stets oben schwimmen können – „wie ein Fettauge auf der Suppe“. Der Vergleich trifft wohl auch auf den Bildhauer Arno Breker zu, der heute in Düsseldorf 90 Jahre alt wird.

Brekers Hang zu aufgeblähtem Pathos, zur hohlen Monumentalität, zu einer Scheinwelt idealisierter Körper, paßte wie angegossen zum Geschmack der Nazi-Ideologen. Die NS-Führungsclique machte ihn zum engen Vertrauten. Er meißelte Büsten von Hitler und anderen Nazi-Größen, verschrieb sich der Produktion für die Partei. So verschleuderte er sein zuvor durchaus bewiesenes Talent. Nur ein mißbrauchter „Idealist“? Oder nicht doch ein bewußter Mithelfer, indem er Skulpturen wie „Vernichtung“, „Vergeltung“, „Rächer“ und „Kämpfer“ schuf? Breker soll, so … Weiterlesen

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Der Zufall und die Kräfte der Geschichte – André Kaminskis rasante „Flimmergeschichten“

Von Bernd Berke

Welch ein Erzähler, dieser André Kaminski! Geradezu unglaublich, was in seinen „Flimmergeschichten“ passiert. Da häufen, ja türmen sich die Einfàlle und Zufälle, da ergeben sich die abenteuerlichsten Konstellationen. Und all die Verwicklungen schildert uns der Autor so flüssig und süffig, daß man sein Buch mühelos in einem Rutsch durchlesen kann. In manchem Sinne könnte man den „polnischen Schweizer“ Kaminski dem ähnlich erzähl-„wütigen“, famosen Tschechen Bohumil Hrabal zur Seite stellen.

Nur ein skizziertes, nicht untypisches Beispiel: Da ist die Geschichte von jenem alten Pizier, der – ständig fluchtbereit – in einem Wohnwagen bei Paris lebt. Der Ich-Erzähler,  wie der Autor Kaminski ein Mann vom Fernsehen (daher das „Flimmern“ im Titel des Bandes und daher das Medium als geheimer … Weiterlesen

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Schrecken und Hoffnung Europas – „Notizen zum Stand der Dinge“ von Andrzej Szczypiorski

Nichts verstellt dem Schriftsteller Andrzej Szczypiorski den Blick für Gerechtigkeit. In seinem bis 1988 fortgeschriebenen Band „Notizen zum Stand der Dinge“, dessen Kernstück Aufzeichnungen zum Ende 1981 über Polen verhängten Kriegszustand bilden, findet sich auch der Versuch einer Ehrenrettung des Sozialismus.

Szczypiorski kritisiert jene Leute, die nach dem Scheitern des osteuropäischen Kommunismus gleich alles geistig „über Bord werfen“ wollen, was nur entfernt an diese Ideologie erinnert. Für einen, Menschen, der wegen seiner oppositionellen Ansichten unter Kriegsrecht interniert und drangsaliert worden ist (was er eindringlich beschreibt), eine ganz und gar bemerkenswerte Geste.

Ähnlich wie in seinem Bestseller-Roman .„Die schöne Frau Seidenman“, spricht der Nelly-Sachs-Preisträger wiederum die Deutschen, unter denen er in der NS-Zeit physisch noch weitaus mehr gelitten hat als später … Weiterlesen

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