Vorfälle (2): Schaukelpferd, Briefmarken, Autoschlüssel

Es gibt in Dortmund ein Traditions-Geschäft, vor dem stets ein elektrisch betriebenes Schaukelpferd gestanden hat. Eines Tages aber war das Pferd defekt und wurde – zur Enttäuschung vieler Kinder – abgebaut.

Für immer? Eigentlich nicht. Die Apparatur sollte repariert werden. Das aber zog sich sehr, sehr lange hin, weil es offenbar nur noch Münzschlitze für 50-Cent-Stücke an aufwärts gibt – und nicht mehr solche für 20 Cent. Diesen Preis hat der Betreiber aber partout beibehalten wollen.
Schließlich fand sich nach gründlicher Suche doch noch ein altes Ersatzteil, das sich mit einem Kniff verwenden ließ.
Eines schöneren Tages stand also das Pferd wieder am Platze. Der Ritt kostet nach wie vor 20 Cent. Ein kleines Zeichen wider die landläufige Geldgier.

Anderntags fiel mir beim Gang durch die Stadt auf, dass ein alteingesessenes Lädchen geräumt wurde, sehr wahrscheinlich wegen Geschäftsaufgabe nach Pleite. Es gibt ja auch sonst genug Leerstände in der City. Zudem handelt es sich um ein winziges Briefmarkengeschäft. Schon lange habe ich mich gewundert, wie man sich in dieser Branche innerstädtisch halten kann. Ist das denn nicht ein längst ausgestorbenes Hobby?
Doch da wurde nicht ab-, sondern umgeräumt und neu aufgezäumt, wie sich bald darauf erwies. Jetzt macht da jemand mit frischem Mut im selben Metier weiter. Wie soll man das nennen: verrückt oder tapfer?

Unterwegs an solchen Orten vorbei, bemerkt man vielleicht auch dies: Seit es die Klickschlüssel zur Fernsteuerung der Türen gibt, vollführen Autofahrer andere Bewegungsmuster. Wir erinnern uns dunkel: Ehedem wurde geradezu sorgfältig abgeschlossen, indem man den Schlüssel im Schloss drehte. Manchmal ging dem auch ein nervöses Nesteln voraus. Heute aber klickt man lässig aus der Hüfte, aus dem Handgelenk, über die Schulter hinweg. Die Gestik wirkt meist achtlos, ja zuweilen arrogant oder blasiert, als könne man sich auch sonst der Welt ringsum bedienen. Damit verglichen war das Schließen von Hand geradezu nobel. Oder wenigstens reell.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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6 Antworten zu Vorfälle (2): Schaukelpferd, Briefmarken, Autoschlüssel

  1. Michaela sagt:

    Da bin ich froh!

  2. Bernd Berke sagt:

    @Michaela: Keine Angst, er wirbt noch nicht mit deinem Statement.

  3. Michaela sagt:

    Naja, vielleicht nicht den Händler, den kenne ich ja gar nicht, aber sein Beharren auf besagtem Schlitz.

  4. Michaela sagt:

    Ich wollte noch sagen, dass ich den Händler mit dem 20-Cent-Schlitz super finde!

  5. Michaela sagt:

    Ich habe einen Kollegen (-> Fahrgemeinschaft), vor dem ich mich immer wieder rechtfertigen musste, weil mein Auto Zentralverriegelung hat und vorne links (nur da, aber immerhin) einen elektrisch einstellbaren Außenspiegel. So ein Luxus, dieser elektronische Schnickschnack! Bis er sich selber einen Neuwagen kaufte. Jetzt muss ich mir immer anhören, dass ein Neuwagen ohne diesen Schnickschnack nicht mehr zu kriegen ist und dass wir gerade 8° Außentemperatur haben.

  6. Britta Langhoff sagt:

    Die Fernsteuerung meines Autos hat sich vor kurzem verabschiedet. Seitdem komme ich mir in der Tat vor wie die letzte einer aussterbenden Art, wenn ich in altbekannter Manier abschließe – und nicht wenige skeptische Blicke ob meines Tuns ernte…

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