Vorfälle (1): Pietät, Jugendschutz, Amadeus

Es gilt diverse Vorfälle abzuhandeln, die zu denken geben. Oder auch nicht. Oder so ein bisschen.

Zum einen lag in der heutigen Post das Reklameschreiben eines Dortmunder Steinmetzmeisters, der jetzt endlich mal aufs Ganze geht und das bräsige, verdruckste Pietäts-Geschwurbel seiner Branche beherzt hinter sich lässt. Also lautet sein flotter Slogan:

„Sparen bei unserer stürmischen Herbst-Aktion“

Das fetzt, nicht wahr? Und wenn man dann noch den megageilen Teaser liest, der da verheißt:

„Wir schenken Ihnen eine Grablampe (gültig …bis 30. November)“,

dann zieht man sich auch noch den süffigen Rest rein, in dem die Trauer endgültig ertrinkt:

„Wenn das Laub bunt von den Bäumen und Sträuchern fällt, fallen…die Preise.“

Alles, alles fällt und fällt. Ach, wer da mitfallen könnte!

Zwanglos leite ich über zu einem Geständnis: Ich habe Beihilfe zur Umgehung des Jugendschutzes geleistet. Das kam so:

Bezahlzone im Supermarkt. Man steht mal wieder in der Problemkassen-Schlange. Vorne diskutiert die Kassiererin mit einem Jungspund, der einen Kasten Pils und eine Flasche Wodka kaufen will. Ist er nun unter oder über 18 Jahre alt? Schwer zu sagen. Er hat jedenfalls keinen Ausweis dabei. Sagt er.

Die Angestellte nimmt ihren Job ernst, ist aber alles andere als entscheidungsfreudig. Zunächst lässt sie die Wartenden in der Schlange schätzen, wie alt der Junge wohl sei. Das gibt ein großes Hallo, ein munteres Hin und Her. Aber keine Lösung. Nun ruft sie hintereinander zwei Kolleginnen zu sich, die beim Ratespielchen mitmachen und Entscheidungshilfe geben sollen. Beide wollen es hinterher nicht gewesen sein und sagen sinngemäß: „Was sollen wir dir raten? Es ist deine Kasse.“ Nun ist sie vollends verunsichert. Die Reihe der Wartenden wird derweil lang und länger.

Da fasse ich mir ein Herz und schlage einen Kompromiss vor: „Geben Sie ihm doch den Kasten Bier, aber nicht den Schnaps.“ Sei’s, dass dies tatsächlich salomonisch klingt, sei’s, dass ich mir einen Rest von Autorität bewahrt habe (Weisheit des gemessenen Alters!): Die Dame an der Kasse folgt meinem Vorschlag ohne jedes Zögern. Denke mal, die Menschen weiter hinten in der Schlange haben es zu schätzen gewusst. Ich aber habe mich mitschuldig gemacht, denn es war wohl doch ein fauler Kompromiss. Was sagen die allzeit sprungbereiten Ethiker?

Zu allem Überfluss kam mir dieser Tage eine beflissene, bestimmt klassisch gebildete Mutter entgegen, die in den Kinderwagen hinein sprach: „Möchtest du etwas trinken, Amadeus?“ Und das, obwohl der Wunderknabe schätzungsweise unter 18 war!

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 11 times, 1 visit(s) today

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
Dieser Beitrag wurde unter Alltag, Bekenntnisse, Gesellschaft, Stilfragen, Wahnwitz abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

6 Antworten zu Vorfälle (1): Pietät, Jugendschutz, Amadeus

  1. Michaela sagt:

    Ach, ach, wunderbar! Ich liebe diese Blüten, die der Kapitalismus immer wieder treibt. Danke!
    Auch hübsch:
    http://www.flickr.com/photos/me_maya/6194681778/

  2. Bernd Berke sagt:

    @Michaela: Werde das Steinmetz-Dokument einscannen und mailen.

  3. Michaela sagt:

    „… um das Bier nicht zu dürfen, müsste er unter 16 sein, …“
    Stimmt – und von irgendwelchen Mengen ist nirgendwo die Rede. Er hätte so gesehen also auch 10 Kisten kaufen (und dann alleine austrinken) dürfen. Allerdings hätte die Kassiererin, im Zweifel bezüglich seines Alters, ihm eigentlich gar nichts Alkoholisches verkaufen dürfen, ohne eindeutigen Altersnachweis. Kann sie bzw. ihren Arbeitgeber u. U. 50.000,-€ kosten!

    „„Möchtest du etwas trinken, Amadeus?“ Und das, obwohl der Wunderknabe schätzungsweise unter 18 war!“
    Ich verstehe nicht, was Beethoven mit Bier zu tun hat. Erklärst du ’s mir?

    Und ich wünsche mir dringend eine Kopie der Steinmetzwerbung! Bitte, bitte!

  4. Bernd Berke sagt:

    Danke. Soeben korrigiert.

  5. Ingo sagt:

    Jeder Kompromiss ist „faul“, aber um das Bier nicht zu dürfen, müsste er unter 16 sein, und das kann man meist schon abschätzen, das sollte Dich also realistisch nicht um den Schlaf bringen.

    Das ganze Gesetz hat doch eh einige Merkwürdigkeiten: Tabak darf ich denen nicht verkaufen, aber die extradünnen Blättchen oder die Filterstreifen OCB für den nächsten Joint …

    Keine Kompromisse hier: vor „megageilen Teaser“ gehört ein „den“ … 😉

Kommentare sind geschlossen.