Der kinderleichte Traum von einer besseren Welt – Jean Giraudoux‘ „Die Irre von Chaillot“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Ein paar Kapitalisten wollen halb Paris abreißen, um vermeintliche Ölquellen auszubeuten. Doch die Erd- und Menschenschinder werden in eine tödliche Falle gelockt – und schon ist die Welt ein für allemal befreit. So simpel geht das in Jean Giraudoux‘ Stück „Die Irre von Chaillot“, das in Wuppertal Premiere hatte.

Selten wird der Zweiakter gespielt. Er ist schwer in den Griff zu bekommen. Ziemlich diffus wirkt das Figureninventar zwischen windigen Geldsäcken und Gestalten aus jener niederen Gegenwelt der Clochards und der „irren“ Frauen. Die sind hier natürlich im höheren Sinn die einzig Vernünftigen, weil am mißlichen Zustand der Welt irre geworden. Das Stück hegt eine verstiegene Hoffnung auf rebellische Randgruppen.

In Wuppertal (Regie: Kresimir Dolencic) verklammert man das Ganze zunächst mit einer Art Revueform samt Gesangsauftritten. Die Atmosphäre: so etwa zwischen Bahnhofs-Wartesaal und „Dreigroschenoper“, also zerfasert. Dennoch gelingt es, das Figurenspektrum in Fassung zu halten. Die Schauspieler stellen auf herrlich leicht scheinende Art zumindest lose, assoziative Zusammenhänge her. Wie hat doch dieses Ensemble im Lauf der letzten Jahre gewonnen!

Von Erich Fried gibt es das Gedicht ,„Die Maßnahmen“. Dort heißt es lapidar: „…Die Feinde werden geschlachtet / Die Welt wird freundlich – Die Bösen werden geschlachtet / Die Welt wird gut.“ Ähnlich kindertrotzig, wundergläubig (und totalitär) geht es zu, wenn die „Irre“ (schmetterlingsbunt: Ingeborg Wolff) ihr Tribunal über die etwas groteske Crew der Kapitalisten abhält und sie mit einem angeblichen Ölvorkommen in die Kanalisation lockt, wo die Herrschaften verenden müssen.

Giraudoux hat das Stück 1943 geschrieben, mitten im Kriege und wohl in wahnwitzig lachender Verzweiflung über die deutsche Besatzung. Daraus mag sich die „irre“ Hoffnung herleiten, die vielleicht auch die Befreiung von den Nazis auf phantastische Weise vorwegnimmt.

So schwebt die ganze Sache denn auch etwas traumverloren dahin. Aber das naive Träumen wird doch gelegentlich noch erlaubt sein. Es könnte dieser Abend recht gut unter biblischem Motto stehen: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder… denn ihrer ist das Himmelreich“.

Tatsächlich befördert die Bühnen-Hydraulik am Ende die irre Weltenretterin samt Anhang in himmlische Höhen, während aus dem Orkus die totgeglaubten Besitzenden doch wieder auftauchen, die Mäuler voller Geld gestopft. Aus der Traum: Hienieden, so muß man fürchten, bleibt Mammon König.

Nächste Vorstellungen: 26. und 28. Dez.; 2.. 9. und 15. Januar.

 

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 3 times, 1 visit(s) today

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
Dieser Beitrag wurde unter Theater abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.