Gebremster Freiheitsdrang – Holk Freytag inszeniert Goethes „Egmont“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. „Freiheit und Privilegien, Freiheit und Privilegien!“ So skandiert das Volk seine Forderungen. Die drei Darsteller, die es in Wuppertal verkörpern, schlagen dabei rhythmisch auf die Spielfläche. Sie wirken wie infantile Tyrannen. Doch wenn sich Abgesandte, der Obrigkeit blicken lassen, kuschen die Bürger sogleich. Dann pfeifen sie auf die Freiheit, und es bleibt das Bangen um ihre Privilegien.

Solch einen Verrat der Ideale an die Interessen soll’s in der Geschichte des Bürgertums des Öfteren gegeben haben. In Holk Freytags Wuppertaler Inszenierung des Goethe-Klassikers „Egmont“ wird man mit einer Farce daran erinnert. Doch ansonsten geht es gemessener zu.

Die Niederlande ächzen unter spanischer Fremdherrschaft. Statthalter Graf Egmont (historisch: 1522-1568) steht für gewisse Hoffnungen auf Selbstbestimmung. Es gärt im Volk. Doch an Egmont statuiert man ein Exempel: Am Ende wird er auf Herzog Albas Geheiß öffentlich hingerichtet.

Der Wuppertaler Egmont (Martin Bringmann) strahlt kein Charisma aus, er wirkt eher wie ein lavierender Liberaler. Das Volk, das jeder Parole nachläuft, lässt ihn denn auch mit seinem etwas faden Freiheitsdrang sehr bald allein. Trotzdem scheint dieser Egmont kaum Konflikte mit sich auszutragen. Edelmut von Anfang an – nicht sonderlich aufregend.

Kulturelle Dosis mit Beethoven erhöht

Das in ihn verliebte Klärchen (Tessa Mittelstaedt) gebärdet sich naiv, sie achtet wohl mehr auf Egmonts Insignien gräflichen Glanzes als auf seine politischen Worte. Nun die Majestätsbeleidigung: Goethes Stück ergeht sich streckenweise im steifen Austausch von Thesen. Manche Figuren erscheinen wie stillgestellt, von Leidenschaft befreit oder auch geläutert. Einiges von dieser marmornen Glätte bleibt an der Wuppertaler Aufführung haften. Sie ist recht gediegen, stellt den (gekürzten) Text in großer Klarheit vor uns hin, gefällt auch durch solide Sprachbehandlung und prächtige Kostüme. Doch eine Dringlichkeit, diese Tragödie jetzt zu spielen, wird nicht so recht erkennbar.

Auf der schräg in den Raum ragenden Spielfläche (Bühne: Wolf Münzner) prangt das Bild eines namenlosen flämischen Meisters, es zeigt eine spanische Königskrönung. Aus dem Stütz-Gestänge unter dieser großen Platte rappeln sich die Figuren hervor wie aus einem Kellergewölbe der Historie. Später tut sich ein Spalt auf in diesem Bild; ein Riss in der Welt, den man dieser Inszenierung sonst kaum anmerkt.

Die eigentliche Bühne wird eingenommen vom Sinfonieorchester Wuppertal (Leitung: Stefan Klieme). Das erhöht die kulturelle Dosis: Goethes Drama wird – einer früheren Tradition folgend – durch Beethovens „Egmont“-Musik ergänzt und beglänzt. Es erhebt die Seele. Das Freiheitsbegehren scheint in den Tönen inniger aufgehoben als im Text.

Termine: 23., 24.0kt; 15., 17. Dez. – 0202/569 4444.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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