Auf der Suche nach dem Gleichgewicht – Cees Nootebooms „Der Buddha hinter dem Bretterzaun“

Von Bernd Berke

Cees Nooteboom muß man, spätestens seit der letzten Buchmesse, als er mitsamt der niederiändisch-flämischen Literatur im Mittelpunkt stand, kaum noch vorstellen. Er gilt als Kandidat für den Literaturnobelpreis, sein Buch „Rituale“ steht seit Monaten auf der Bestsellerliste. Jetzt liegt eine neue Erzählung von ihm vor.

In „Der Buddha hinter dem Bretterzaun“ beweist er seine Meisterschaft an einem Thema, das man nicht mehr für prosatauglich gehalten hätte. Denn über Thailands Hauptstadt Bangkok, so meinte man, ist doch in mehr oder minder seriösen Reportagen schon alles gesagt worden.

Nooteboom läßt einen Reisenden durch die Metropole streifen und gleich der im Titel erwähnten Figur begegnen. Hinter jenem Bretterzaun belebt sich „ein dicker Woolworth-Buddha, zwanzigstes Jahrhundert…“ Der öffnet dem Reisenden die Augen: Nicht sofort alles aufschreiben (und damit abhaken), sondern den Fluß des Geschehens erleben, heißt die Devise.

In der chaotischen Stadt prallt scheinbar Unvereinbares aufeinander: z. B. traditionell gelebter Buddhismus und Sex-Industrie. „Versöhn‘ die Bilder“, lautet eine ins Paradoxe zielende Aufforderung des Zaun-Buddhas. Auf der Suche nach Gleichgewicht (nicht nach satter Zufriedenheit) zwischen den Widersprüchen befindet der Reisende: „Die Welt ist eine bittere Waage.“ Und er weist vorschnelle Moral-Urteile von sich: „Vergiß doch mal, daß du aus Europa bist. Hier sind die Huren Engel…“

Hier also geht vielleicht zusammen, was in Europa nicht ginge. Nur muß man anders reisen, anders wahrnehmen lernen. Nootebooms Reisender versucht es und merkt: Hier läßt sich sogar die Vielfalt vorhandener Waren, anders als im Westen, als Kultur erfahren. Hier gibt es ein Behagen in der Menge. Und es gibt das Glück einfachen Tuns. Die Fülle der Eindrücke übersteigt das Vermögen der Sprache. Zitat: „Einen Ozean kann man nicht aufschreiben.“

Der Mensch, so heißt es an einer Stelle, werde im Buddhismus nur als „Durchgangsstation“ für ein überpersönliches „Karma“ begriffen, auch kenne das Thailändische kein Wort für „Ich“. Und so wird auch der Reisende zum Strom, der alles in sich einfließen läßt: Götter und Gold, fremdartige Worte, Zeremonien, Sitten.

Ein schmales, aber „großes“ Buch: über das Reisen, das Fremdsein und die Wege der wirklichen Erfahrung.

Cees Nooteboom:, Der Buddha hinter dem Bretterzaun“. Erzählung. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt/Main. 85 S., 19,80 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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