Aids macht auch Künstler hilflos – Hagen: Bilder und Objekte zum Thema Immunschwäche

Von Bernd Berke

Hagen. In einer Ecke des Museums erhebt sich ein Hügel aus lauter Bonbons. Die Info-Tafel verkündet: Jene leckeren Kleinigkeiten wiegen zusammen so viel wie ein abgemagerter Aids-Kranker. Symbolisch dürfen die Besucher den Mann gleichsam weiter schrumpfen lassen, indem sie je ein Bonbon wegnehmen. Welch ein Kurzschluß zwischen Tod und Genuß!

Ist das nun eine eindringliche Mahnung oder schlicht eine Geschmacklosigkeit? Diese Frage kann man sich in der Hagener Ausstellung „Thema: Aids“ ständig stellen.

Hagen ist einzige deutsche Station der Schau, die aus Oslo kommt und praktisch nur Aids-Kunst aus den USA versammelt. Dort ist die Diskussion weiter fortgeschritten und hat ganz offenbar Künstler animiert, sich weniger um ästhetische Werte als um die korrekte Behandlung sozialer Fragen zu kümmern. Wie prekär und zuweilen peinlich derlei beflissene Trauerarbeit sein kann, hat kürzlich Fritz J. Raddatz in der „Zeit“ für die Literatur dargelegt. Manche seiner Bedenken können wohl auf bildnerisches Schaffen übertragen werden.

Symbol, laß nach!

Man schaue sich an. wie etwa Barton Benes das Thema unter sich begräbt: Erst zeigt er Fixernadeln als Molotow-Cocktails, dann setzt er eine Dornenkrone daneben. Symbol, laß nach! Fast untrügliches Zeichen für ästhetische Hilflosigkeit: Einige Künstler brauchen enorm viele Schriftzeichen und Worte, um ihr Anliegen zu verdeutlichen. Schier endlose Listen mit Namen von Aids-Toten sind ein weiteres Mittel, das sich längst abgenutzt hat. Da hilft es auch nichts, wenn die Kolumnen in goldenen Lettern präsentiert werden, als solle das Ableben durch Aids veredelt werden.

Hilflosigkeit liegt dem Thema natürlich nahe. Sie trägt denn auch humane Züge. Davon zeugen etwa die vielen Foto-Sequenzen über körperlichen Verfall. Nur muß man dies nicht unbedingt Kunst nennen, sondern engagierte Dokumentation. Andere nehmen das Thema unter Lupe und Mikroskop: womöglich infektiöses Ejakulat in verfremdender Großaufnahme, desgleichen Blut, Zellen, Viren.

Bundeszentrale als Förderer

Man ist dankbar für verzweifelt-sarkastische Schlenker. so etwa bei jenen zunächst verdeckten GIücksspiel-Karten, die hernach die Konterfeis von Aids-Toten vorweisen. Fast jede Karte ein Verlust, nur ein paar Joker haben gewonnen. Ein Blatt zeigt den Kopf von Keith Haring, der vor einigen Jahren an Aids starb. Sein titelloser Beitrag von 1988, eine Art Virus-Labyrinth als schwarzweißes Riesenformat, zählt zu den besseren Arbeiten.

Im Seitenkabinett sieht man Aids-Aufklärungsplakate aus aller Welt, im Vorraum ebenso gut gemeinte Beiträge der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die das Projekt fördert und als „positive Strategie“ preist. Kann Kunst strategisch wertvoll sein?

Thema: Aids“. Osthaus-Museum, Hagen. Ab sofort bis 9. Januar 1994. Tägl. außer Mo 11-18, Do 11-20, So 11-18 Uhr.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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