Von Bernd Berke
Recklinghausen. Wir sind hier nicht in der Luxus-Abteilung: Drahtgitter, verschmutzte Leinensäcke, rostender Stahl, nackte Glühbirnen. Bruchstücke von Kohle. Bei Jannis Kounellis scheint die Kunst beinahe buchstäblich in Sack und Asche zu gehen.
Ist Kounellis ein Büßer inmitten der genußsüchtigen Konsumwelt, eine asketische Gegenfigur etwa zu Andy Warhol, dem Schöpfer der schicken Oberflächen; hingegen ein Bruder des Herrn Joseph Beuys mit Fett und Filz?
Der weltbekannte Kounellis, dem die Ruhrfestspiele jetzt eine große Einzelausstellung widmen, stammt aus Piräus/Athen. Seit vielen Jahren lebt er in Rom. Zeugnisse der Antike umgeben ihn, seit er die Augen aufschlug. Vielleicht wirken deshalb manchmal die Materialien, die er benutzt, als seien sie aus vagen Vorzeiten übrig geblieben, als habe keine Künstlerhand sie je berührt.
Doch gewiß hat das alles mit uns zu tun und gehört ganz ins Heute: Da steht etwa ein schlichtes Eisenbett, belegt mit staubigen Decken. Eine Asyl-Szenerie? Nur nicht vorschnell das Naheliegende hinzudenken. All das will erst einmal ausgiebig betrachtet sein. Freilich: Schräg gegenüber hängen einige ausgebeulte Mäntel. Tatsächlich könnte es also um das Thema Bleibe und Flucht gehen. Doch Vorsicht! Kounellis entwirft keine bildhaften Situationen, um damit etwas zu kommentieren. Er baut Energiefelder. Und in denen erhebt sich die Kunst, die doch in Sack und Asche zu gehen schien, zuweilen wie ein Phönix.
Kohlestücke, sorgsam nach Größe mit Drähten eingefaßt, hängen von der Decke herab. Rätselhaftes Rudel. Was von ganz unten, tief aus dem Bauch der Erde kommt, schwebt plötzlich über dem Betrachter. Dann findet man Kohle auf Stahlplatten wieder. Das „schwarze Gold“ ist nun so angeordnet, daß es wie eine urtümliche Schrift wirkt: ein Stück – ein Wort; zwei oder drei Stücke – ein Satz.
Kohle und Stahl. Da war doch was? Tatsächlich hat sich Kounellis vor dieser Ausstellung im Ruhrgebiet umgetan. Und tatsächlich passen diese Montan-Materialien wie angegossen zu seiner „arte povera“, jener „armen Kunst“ also, die sich mit unscheinbaren Stoffen begnügt. Es ist, als habe er von jeher damit gearbeitet. Mehr noch: Die Kunsthalle Recklinghausen, ehemaliger Weltkriegs-Bunker, eignet sich in ihrer etwas rohen Anti-Architektur hervorragend gerade für diese Ausstellung. Kounellis hat sogar dafür gesorgt, daß nachträgliche Einbauten, Ecken und Kanten in der Kunsthalle wieder entfernt wurden.
Erstmals geben die Ruhrfestspiele einem einzelnen Künstler solch breiten Raum. Das war eine weise Entscheidung. Denn Werke von Kounellis kommen erst wirklich zur Geltung, wenn sie ungestört einen ganzen Ort „besetzen“ und durchdringen können.
Jannis Kounellis. Kunstausstellung der Ruhrfestspiele. Kunsthalle Recklinghausen. 2. Mai bis 11. Juli. Di-Fr 10-18 Uhr, Sa/So 11-17 Uhr. Katalog 35 DM.