Durch die Hölle in das sittsame Leben – Graphik von Hogarth und Chodowiecki in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Die Tugend kann man den Menschen auf zweierlei Art beibringen: Entweder malt man die Freuden sittsamen Lebens aufs Schönste aus (und flunkert dabei notfalls ein bißchen) – oder aber man läßt die Leute tief in den Höllenschlund des Lasters blicken, auf daß sie womöglich zurückschrecken.

William Hogarth (1697-1764) hat den zweiten Weg gewählt und damit allzeit gute Geschäfte gemacht. Als Raubdrucke seiner Bilder überhand nahmen, setzte er sogar ein frühes Copyright durch.

Nehmen wir Hogarths Radierungszyklus „Die Stufen der Grausamkeit“ als Extrembeispiel. Schon im ersten Bild quälen einige Rabauken Katzen und Hunde. Die weitere Beschreibung ersparen wir uns. Weiter als das vierte Bild gehen wohl auch Horrorvideos nicht. Ein gravierender Unterschied: Hogarth wollte den heilsamen Schock, durch Schreckensbilder wollte er gerade die Moral befördern. Aus heutiger Sicht könnte man argwöhnen: Hier haben einen Künstler schon die ersten Zweifel an der Aufklärung und ihrem Menschenvertrauen beschlichen.

Die Kunsthalle in Wuppertal-Barmen verknüpft ihren Überblick zu Hogarths Graphik mit Blättern von Daniel Chodowiecki (1726-1801), gleichfalls aus Eigenbesitz. Rund 370 „Sittenbilder des 18. Jahrhunderts“ (Titel der Schau) sind zu sehen.

Chodowiecki, gefragter Buchillustrator und mit Goethe bestens bekannt, ist weit weniger drastisch als Hogarth, ja seine Arbeiten wirken vergleichsweise lieblich. Derlei Unterschiede spiegeln nicht zuletzt den Entwicklungsstand der Metropolen London und Berlin. Während an der Themse schon damals ein „heißes Pflaster“ war, ging es an der Spree idyllisch zu.

Zurück zu Hogarth, denn das Laster ist – gestehen wir’s nur – zumindest optisch weitaus ergiebiger. Da wird in einer Blätterfolge etwa der verwerfliche Lebensweg einer Dirne nachgezeichnet, dann der eines unverbesserlichen Wüstlings („The Rake’s Progress“). Drohend reckt sich der Zeigefinger empor: Zum Schluß landen alle diese Sünder(innen) entweder im Gefängnis oder im Irrenhaus, duellieren sich oder verüben Selbstmord.

Ob Saufgelage (Hogarth rät zum Bier, um die Schnapssucht auszutreiben), miese Wahlkampf-Schlacht oder „Unzucht“ mancher Sorte – Hogarth hat bildnerisch wenig ausgelassen. Fast möchte man seine Stiche und Radierungen (in Anlehnung an jenes umstrittene Fernseh-Genre) „Reality-Papers“ nennen. Doch seine Wirklichkeit ist nicht so platt, er hat sie mit zahllosen symbolischen und formalen Querverweisen überhöht. Noch in der wildesten Orgie stecken klassische Bildmuster etwa von Raffael oder Leonardo. Das alles summiert sich oft zu einer barocken Detailfülle. Charakteristisch die fast karikierende Verzerrung, die Hogarth zu einem Vorläufer von Goya, Grosz und Dix macht — und letztlich sogar zu einem der „Väter“ des Comic-Strips.

Auch Chodowiecki war ein Voyeur sondergleichen. Selbst in Gesellschaft zog er sich lieber an den Rand zurück und zeichnete heimlich die Leute, manchmal gar durch Schlüssellöcher. Auch so ein Wirklichkeits-Verrückter also. Doch er bekam natürlich nur zu sehen, was da war: Beinahe rührend anmutende Versuche des Bürgertums, sich tugendsam gegen den verwilderten Adel abzugrenzen.

Erstaunlich übrigens, daß es all diese Arbeiten in Wuppertal gibt. Sie stammen aus Sammlungen örtlicher Bürger. Kürzlich hat das Museum Museum die Bestände ergänzen können.

„Sittenbilder des 18. Jahrhunderts“ (Graphik von William Hogarth und Daniel Chodowiecki). Kunsthalle Wuppertal-Barmen, Geschwister-Scholl-Platz. Bis 11. Juli, Di-So 10-17, Do 10-21 Uhr.

 

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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