Fluch der Werktreue: „Wessis“ sind ganz aus trockenem Holz – Hamburger Inszenierung macht Hochhuth kenntlich

Von Bernd Berke

Hamburg. Wir Wessis sind furchtbare Wesen, eine Landplage, fast wie die Heuschrecken. Alles luchsen wir unseren Brüdern und Schwestern im Osten Deutschlands ab: die fruchtbarsten Obstplantagen, um dort Golfplätze für die Schickeria anzulegen; die tollsten Hotels, damit unsere Bonzen in den umliegenden Wäldern auf die Jagd gehen können.

Natürlich zahlen wir den Ossis nur Spottpreise, um nachher unseren großen Reibach zu machen. Und den Ex DDR-Bürgern bleiben dann nur noch zwei Möglichkeiten: gewaltsamer Widerstand oder Selbstmord.

Hat „Motzki“; die Seiten gewechselt? Schimpft er jetzt auf das Westpack statt auf die „Zonen-Dödels“? Ach was! Der Autor mit dem eingleisigen Weltbild (mögliches Motto: „Bonn und die Treuhand sind an allem schuld“) ist einer unserer bekanntesten Dramatiker: Rolf Hochhuth.

Spätestens jetzt müßten alle Theaterfans und sogar Hochhuth selbst dem Regisseur Einar Schleef dankbar sein, denn der hatte vor rund zwei Wochen in Berlin Hochhuths „Wessis in Weimar“ gar gnädig verhüllt, indem er so gut wie nichts vom Originaltext übrig ließ. Der erboste Hochhuth ließ verlauten, nun setze er alle Hoffnungen auf die Version des Hamburger Ernst-Deutsch-Theaters. So galt die Inszenierung des Schweizers Yves Jansen als die „eigentliche“ Uraufführung – und selten dürften sich so viele Kritiker in das als bieder verschriene Haus am Mundsburger Damm verirrt haben.

Monströs detailversessen

Regisseur Jansen hatte etliche Kürzungen in Aussicht gestellt, doch leider hat er uns diesen Liebesdienst nicht im wünschenswerten Umfang erwiesen. Also wird denn – Fluch der Werktreue – Hochhuths monströs-datailversessener Text erstmals in all seiner Hölzernheit auf das Publikum losgelassen. Immerhin blieb eine Szene erspart, in der Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger mit Erich Honecker auftreten sollte.

Da sitzen also Leute auf der Plantage und reden. Dann sitzt da einer in der Badewanne und redet. Ferner sitzt einer am Schreibtisch und redet, redet, redet – zunächst ins Diktiergerät, dann in den Telefonhörer. Und sie alle reden nicht wie Menschen von Fleisch und Blut, sondern wie bierernste Leitartikler. So ist denn auf der Bühne auch immer mal wieder eine Zeitung zur Hand, aus der emsig zitiert werden kann. Hochhuth war wieder immens fleißig, das muß man ihm lassen. Stets nennt er – in bandwurmartigen Nebensatz-Einschüben – Daten, Zahlen, Namen und notfalls auch Uhrzeiten, als wolle er seinen Text rundum absichern. Ein erzdeutscher Schriftsteller.

Stocksteif, kreuzbrav und unbeholfen

Nichts gegen eine ordentliche Buchhaltung. Doch Hochhuth, seit rund 30 Jahren im dramatischen Geschäft, vermag seine Recherchen kaum in theaterwirksame Szenen zu gießen. So zynisch es klingt: Man ist schon fast dankbar, wenn hier einmal ein ehrlicher Selbstmord begangen wird. Die Szene „Philemon und Baucis“, in der ein altes, von der Treuhand schmählich ausgestrickstes Ost-Ehepaar den Freitod durch den Strick wählt, ist die einzige, in der so etwas wie menschliches Schicksal aufscheint. Vor allem der Schauspielerin Ingrid Stein sei Dank für diesen kleinen Lichtblick.

An diesem stocksteifen Text, der nur notdürftig mit Kalauern aufgelockert wird, hätten sich wohl selbst die besten Regisseure und Schauspieler die Zähne ausgebissen. Es machte die Sache also kaum schlimmer, daß Jansens Regie und die meisten Darsteller kreuzbrav bis unbeholfen wirkten. Es brachte diesen Text im Grunde nur zur vollen Kenntlichkeit. Kein Wunder, daß es am Schluß des Dramas lichterloh brennt. Das ganze Ding ist ja trocken wie Zunder.

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 2 times, 1 visit(s) today

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
Dieser Beitrag wurde unter Theater abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.