Nützliches und Kurioses übers Ruhrgebiet

Das Cover gibt sich internetaffin: Die Buchkapitel werden durch bunte Icons angekündigt, als müsse man nur noch klicken. Überdies heißt das Ganze „Smartbook“. Wenn das kein Appell an jüngere Kundschaft ist…

Im kleiner gedruckten Untertitel wird dann ganz konventionell verraten, worum es geht: „Ruhrgebiet für Fortgeschrittene“ versammelt auf 192 Seiten Wissenswertes und vielfach auch Kurioses übers Revier. Da finden sich nicht nur Ausführungen über spektakuläre Aussichtspunkte oder einschlägige Rekorde der Region, sondern etwa auch die Rubriken „Dummes Zeug“, „Schräges“ oder „Unnützes Wissen“.

Da mag der Eindruck aufkommen, es sei nach dem Larifari-Prinzip munter drauflos gelistet und getextet worden. Irrtum! Gerade die schrilleren Mitteilungen erhellen oft den speziellen Charakter der Gegend. Das Buch taugt zwar in erster Linie zum schnellen Blättern, doch man kann sich hie und da auch mal festlesen.

Der Autor Wolfgang Berke hält mit – eigentlich immer nachvollziehbaren – Meinungen nicht zurück, sofern es denn angebracht ist. Nicht alle Fakten lassen sich eben „wertfrei“ aufzählen. Zu Tatsachen aus der Sozialgeschichte oder zu kommunal- und regionalpolitischem Schwachsinn (letzterer besonders in den Kapiteln „Flops“ sowie „Dichtung und Wahrheit“) muss man Stellung beziehen, die Dinge beim Namen nennen. Wem wäre heute schon noch bewusst, dass das heutige Unesco-Weltkulturerbe, die Essener Zeche Zollverein, nach 1986 von der Ruhrkohle AG mit Billigung der Lokalpolitiker beinahe abgerissen worden wäre?

Wolfgang Berke hat offenkundig auf ein gut sortiertes Archiv zurückgreifen können. Das ordentlich, wenn auch kleinteilig bebilderte Buch eignet sich also nicht nur für Zugezogene oder etwaige Touristen. Auch alteingesessene Bewohner erfahren noch Neues.

Ein "Geisterort" des Reviers: das so genannte "Horrorhaus" in der Dortmunder Kielstraße. (Foto: Bernd Berke)

Ein "Geisterort" des Reviers: das so genannte "Horrorhaus" in der Dortmunder Kielstraße. (Foto: Bernd Berke)

So lernt man nicht nur, dass Duisburg die bundesweit erste Parkuhr hatte und über 650 Brücken verfügt, sondern es werden z. B. auch die sonderbarsten Straßennamen erläutert. So gibt es in Essen eine Gasse namens Zornige Ameise und in Witten kann man „Auf der Marta“ wohnen.

Sangesgut mit Regionalkolorit (Steigerlied, Mond von Wanne-Eickel, Georg Kreislers Gelsenkirchen-Schmähung etc.) und „Geisterorte“ („Horrorhaus“ in Dortmund) werden ebenso aufgerufen wie bemerkenswerte Kunstwerke (Wolf Vostells auf dem Rücken liegende „Tortuga“-Lok in Marl usw.). Das Kunst-Kapitel bestätigt übrigens leider (ungewollt?) das Vorurteil vom Ruhrgebiet als Kulturprovinz mit vorwiegend dürftig realistischem Skulpturen-Bestand. Ein trauriger Abschnitt betrifft die größten Unglücke (von den vielen Zechenkatastrophen bis zur Duisburger Loveparade), die sich natürlich nicht in den ansonsten meist launigen, aber nie zu flapsigen Duktus des Buches fügen.

Am interessantesten sind häufig die Fundstücke zum angeblich „unnützen Wissen“: So gab es schon zwischen 1955 und 1967 entlang des Ruhrschnellwegs eine veritable Radautobahn, die hernach dem anschwellenden Autoverkehr zum Opfer fiel. Man sieht, das Rad und seine Infrastruktur müssen wirklich nicht neu erfunden werden.

Wolfgang Berke: Smartbook. Ruhrgebiet für Fortgeschrittene. Klartext Verlag, Essen. 192 Seiten, Broschur, zahlreiche farbige Abb. 14,95 Euro.

P.S. zwecks Transparenz: Autor Wolfgang Berke wird gelegentlich – wegen ähnlicher Berufsfelder – schon mal mit meiner Wenigkeit verwechselt, wir sind aber weder verwandt noch verschwägert und kennen uns nicht einmal persönlich.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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