Luftiger Reigen der Seelenregungen – Eric Rohmers Film „Sommer“

Von Bernd Berke

Manchmal neigt Gaspard zu Depressionen. Dann fürchtet er: „Ich existiere nicht, ich bin durchsichtig, unsichtbar. Ich seh‘ die anderen, aber die anderen sehen mich nicht.“ Doch entweder kokettiert der gutaussehende junge Mann mit düsteren Gedanken, oder er kennt sich selbst schlecht. Denn kaum spannt er ein paar Tage am Strand der Bretagne aus, hat er schon die Wahl zwischen drei wunderhübschen Mädchen.

Nun sind wir allerdings in einem Film von Eric Rohmer, der mit „Sommer“ seinen zartsinnigen Liebes-Reigen der Jahreszeiten fortsetzt. Und da wird Erotik nicht platterdings vollzogen, sondern in den allerfeinsten Nuancen erwogen.

Also flüchtet der unzufriedene Gaspard vorm Strand- und Kneipen-Gewimmel und begibt sich täglich auf ausgedehnte Spaziergänge – mal mit Margot, mal mit Solène oder Lena. Mit den drei Grazien redet und redet er, Schritt für Schritt. Vor allem über die Liebe, über deren fließende Grenzen zur Freundschaft zwischen Mann und Frau. Auch prüfen sie die Frage, ob man dem Glück nachsetzen oder es durch Abwarten irgendwann auf sich ziehen solle. Gaspard neigt zur zweiten Option, er wäre am liebsten ohne alle Anstrengung ein Frauenheld.

Klar, daß es bei solchen Gesprächsthemen „funken“ kann. Doch Gaspard ist ein Zauderer und verstrickt sich durch pures Abwarten in eine ziemlich komplizierte Vierecks-Geschichte. Er weiß einfach nicht, welchem der drei Mädchen er sein neu komponiertes Gitarrenlied widmen und mit welcher er einen Insel-Ausflug unternehmen soll. Selbst beim Volleyball am Strand hält sich dieser Glückspilz, der seine Chancen nicht wahrhaben (oder sie allzu gründlich ausloten) will, ersichtlich zurück. Er wartet mit linkisch verschränkten Armen auf den Ball und pitscht dann schüchtern davor. Anfangs gefällt seine Zögerlichkeit den Mädchen ja ganz gut, doch irgendwann wollen sie auch mal ’ne Entscheidung von ihm hören. Schwierige Sache. Und doch ein Film wie ein frischer Quell.

Rohmer hält diesen luftigen Reigen, in dem sich – außer mancherlei Seelenregungen – ja wenig ereignet und der bei anderen rasch langweilig werden würde, aufs Schönste in der Schwebe. Er erfaßt die kleinsten Gesten der Zuneigung und Näherung, so daß ein Hauch von taufrischer Verliebtheit durch alle Szenen weht. Welch eine paradiesische Harmonie zwischen Mann und Frau, wenn sie hier miteinander singen. Ach, wie so trügerisch…

Sensibel sondiert wird das Spannungsfeld zwischen Reden und Tun, zwischen Offenheit, Verschweigen, Verstellung und Lüge. Und nichts von dem, was wir da hören und sehen, wirkt konstruiert oder künstlich herbeigeredet; sondern wie durch Zufall belauscht.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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