Visionen für die „documenta“ – Jan Hoet präsentierte in Kassel 186 Namen und ein vages Konzept

Von Bernd Berke

Kassel. „documenta“-Macher Jan Hoet ist schon ein seltener Mensch. Kaum einer vermag sich und andere so für das Abenteuer Kunst zu begeistern wie er, doch auch kaum einer redet sich dabei dermaßen ins Ungefähre und Vage hinein.

Der Belgier hat beinahe Qualitäten eines Erweckungs-Predigers: Mag man auch manchen Satz für abwegig halten, so fühlt man sich doch mitgerissen. Man weiß nur nicht so recht, wohin. Jan Hoet hätte denn auch gestern – statt seiner Visionen für die Weltkunstschau – ebensogut die „Merseburger Zaubersprüche“ vortragen können. Nicht nur die in großen Mengen nach Kassel geströmten Journalisten dürfen immer noch rätseln, wie „es“ denn in den 150 Tagen bis zur Eröffnung gedeihen wird.

Und das ist auch gut so, denn das wirkliche Ereignis ist ja die Begegnung mit der Kunst, nicht das vorschnelle Gerede darüber. Hoet verriet, daß jedem documenta-Gebäude eigenes Recht widerfahren solle. So werde etwa das altehrwürdige Fridericianum, das die „Potenz der Vergangenheit“ verkörpere und „männliche“ wie „weibliche“ Bauteile in sich vereinige, mit entsprechender Kunst bestückt. Bruce Nauman zum Beispiel werde dort für das „maskuline Element“ der Kunst einstehen, während Marisa Merz und Louise Bourgeois für „femininen“ Kontrast sorgen. Die neue documenta-Halle (Ersatz für die Orangerie) gleiche hingegen einer Kirche. Die Halle, die am 28. Februar endgültig eingeweiht wird (ein religiöser Begriff, der hier trifft), soll also offenbar ein geheiligter Kunst-Ort sein.

Am liebsten schwärmt Jan Hoet: von der neuen „Akropolis“ (sprich: documenta-Halle) oder auch vom Kasseler Königsplatz, der nunmehr herrlich rund in der Mitte des vereinten Deutschland liege. Es blieb anderen vorbehalten, auf den Boden der Tatsachen zurückzukommen. So machte Kassels Oberbürgermeister Wolfram Bremeier einen (so wörtlich) „wahlkampfergebnis-gefährdenden“ Gestaltungsstreit um eben jenen Königsplatz aus. Er ließ auch durchblicken, daß die Spendierwilligkeit der Politik schon auf die Probe gestellt worden sei. Immerhin beträgt der Etat der 9. documenta 15,6 Mio. DM (davon 6,6 Mio. DM Zuschüsse), die documenta-Halle hat rund 23 Mio. DM gekostet. Vor fünf Jahren reichten noch 10,2 Millionen DM. Einen Teil der Kosten will man vom 13. Juni bis 20. September durch verdoppelte Tages-Eintrittspreise (20 statt 10 DM) wieder „einspielen“.

Jan Hoet legte immerhin die komplette Liste der 186 documenta-Künstler vor. Man wird zwar nicht Namen, sondern Werke beurteilen müssen, doch ein paar Dinge fallen auf: viele weniger bekannte Namen, was die Sache spannend macht; mit den ehemals „Wilden“ hat Hoet überhaupt nichts im Sinn, zudem sind recht wenige Osteuropäer vertreten. Außerdem: Da Größen wie Ulrich Rückriem, Sigmar Polke, A. R. Penck und Gerhard Richter dabei sind. fällt das Fehlen zweier deutscher Namen um so mehr auf: Georg Baselitz und Anselm Kiefer. Befragt, welchen Grund es für Kiefers Nichtteilnahme gebe, beschied Hoet lakonisch: „Meinen Grund!“

Es wird die erste documenta „nach Beuys“ sein. Hoet dazu: „Ich habe keinen neuen Beuys gesucht. Aber fast alle beteiligten Künstler sind durch Beuys‘ Gedanken hindurchgegangen“. Insofern sei der Verstorbene doch höchst präsent. Im Verlauf der Pressekonferenz kam es zu zwei kleinen Zwischenfällen: Ein Hamburger Künstlerduo knallte im Namen einer „neuen Freiheit“ mit Schreckschußpistolen in die Luft, ein weiterer Hanseat legte Hoet einen hochhackigen Schuh hin und orakelte: „Hätte van Gogh Damenschuhe gemalt, wäre er nicht verrückt geworden.“ Wann hat man schon einmal so ein großes Presseforum…

Zum guten Schluß gab Jan Hoet der deutschen Kunstkritik noch einen Denkzettel mit: Hierzulande fahre man auf den vielen Autobahnen meist geradeaus. Ähnlich stehe es mit der Beurteilung von Kunst. Auch da wolle man immer gleich zum Ziel.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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