Joan Hoet und die „Oase von Schwerte“ – Diskussion mit dem documenta-Chef in der Ruhrstadt

Von Bernd Berke

Schwerte. Wenn das kein Lob aus berufenem Munde ist: Als „Oase in der Stadt“ hat Jan Hoet, Chef der vor einem Monat beendeten documenta, den rührigen Schwerter Kunstverein bezeichnet.

Hoet gab sich am Mittwoch abend in der Ruhrstadt die Ehre – und viele, viele kamen. Gleich zweimal mußte das Publikum in einen jeweils größeren Raum wechseln, bevor die Diskussion über Gegenwartskunst beginnen konnte.

Vom documenta-Dauerstreß ein wenig erholt, ging Hoet vor allem mit der Kunstkritik hart ins Gericht, die die Kasseler Schau überwiegend „verrissen“ hatte. Jawohl, er fühle sich „irritiert und verletzt“, bekannte Hoet. Nur wenige Rezensenten hätten die Schau als das genommen, was sie gewesen sei: als „offenes Feld“. Statt jedes Werk individuell zu betrachten, habe man nur gängige Positionen bestätigt sehen wollen. Hoet kulinarisch: „Die documenta war ein großes Gastmahl. Es gab auch geschmolzene Butter. Aber in Deutschland mag man nur harte Butter.“ Außerdem seien die Künstler sehr zufrieden mit der documenta. Darauf komme es an. Und 609.000 Besucher anzulocken, das solle erst einmal jemand nachmachen.

Leidenschaftlich wandte sich Hoet gegen jede vorschnelle Systematik in der Kunstbeurteilung: „Am besten ist es, wenn man so hinguckt, als ob man gar nichts wüßte“, meinte er unter beifälligem Nicken der Zuhörer. Überhaupt erntete er recht wenig Widerspruch. Eigentlich wurden ihm nur ein paar Künstlernamen entgegengehalten, die nicht auf der documenta vertreten waren – Einwände, die Hoet ziemlich leicht entkräften konnte. Immerhin entwickelte sich eine kurze Debatte über Kitsch und Zynismus in der Kunstszene.

Hoet ging aber auch auf einen ganz aktuellen Vorwurf ein. Viele hatten die letzte Ausgabe der ZDF-„Aspekte“ gesehen. Dort war behauptet worden, seit Ende der documenta würden einige in Kassel gezeigte Werke verschrottet. Hoet fuhr angesichts solcher „Unterstellungen“ aus der Haut. Nichts werde verschrottet. Im Gegenteil: Einiges sei verkauft, manches bleibe in Kassel. Lediglich „die Tapete mit den Ameisen“ sei abgerissen worden. Die aber existiere als Druckwerk vielfach.

Übrigens: Indirekt verdankt Schwertes Kunstverein seine Gründung dem belgischen Ausstellungsmacher. Vor einigen Jahren überzeugte ein Besuch in Hoets legendärer Ausstellung „Chambres d’amis“ (die in Genter Privatwohnungen stattfand) eine Gruppe aus Schwerte so sehr, daß man beschloß: Jetzt muß ein Kunstverein her!

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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