Schöpfungsgeschichte der ewigen Eifersucht: Roma-Theater Pralipe spielt Shakespeares „Othello“

Von Bernd Berke

Mülheim. Über die ganze Bühne verstreut liegt Herbstlaub. Vergänglichkeit der Natur. Doch auf den Blättern kauert – wie zu Zeiten biblischer Schöpfung – ein nackter „Adam“. Später zieht er sich an und schminkt sein Gesicht weiß. Als Zivilisationsmensch mit der „richtigen“ Hautfarbe taugt er fortan zu schmutzigen Intrigen: Sein Name sei Jago. Unter dem Laub liegen anfangs die Opfer Othello und Desdemona. Sie wühlen sich daraus hervor, tollen wie die jungen Hunde miteinander. Doch ihr Glück ist von kurzer Dauer.

Das Roma-Theater „Pralipe“, das eine feste Heimstatt m Mülheim gefunden hat, spielt Shakespeares „Othello“ (Regie: Rahim Burhan) – in Roma-Sprache. Als Zuschauer sollte man also vorher das Stück (wieder) gelesen haben.

Besagter Jago (Sami Osman) also richtet sich hier den ungeschminkten Othello (Nedjo Osman) gleichsam als Spielfigur zu, die er nach Belieben lenken und in Eifersuchts-Wahn treiben kann. Und wenn „Othello“ in seinem Furor einmal nachzulassen droht, haucht Jago ihm sozusagen neuen Odem ein.

Überhaupt verquickt man das Drama mit der Schöpfungsgeschichte. Das verleiht der Sache etwas Naturwüchsiges, Unausweichliches. Verführer Jago reicht seinen Mitspielern knallrote Sünden-Äpfel. Wenn er das gleichfalls rote Tuch in die Hand bekommt, mit dem er den Schein-Beweis über Desdemonas angebliche Untreue führen kann, läßt er es schlangengleich wedeln. In ihm steckt offenbar ein teuflisches, seit Anbeginn der Welt herrschendes Prinzip.

Manches Bild wird durch Auf- und Abblenden nur kurz angerissen, wie eine flüchtige Erscheinung. Szenen, die auf Gesellschaft hindeuten, werden weitgehend ausgespart. Als Mitwelt der drei Hauptpersonen tauchen immerhin schon mal Figuren mit Hüten auf, die den Kriminalfilmen der „Schwarzen Serie“ entstiegen sein könnten. Ohne Kino-Vorbilder ist denn auch manches nicht denkbar, besonders der höchst gekonnte Umgang mit Licht und Schatten gemahnt an Filmästhetik.

Ansonsten konzentriert sich „Pralipe“ ganz auf die Zweipersonen-Auftritte. Diese Konflikte spielt man mit einem Nachdruck und einer Emphase, die uns fremd geworden ist. Vielfältig die Bewegungsformen: Mal wird das Fassen und Lassen zwischen Othello und Desdemona ballettös und in quälender „Zeitlupe“ dargestellt, mal grundieren kultische Handlungen und Ding-Magie das Geschehen. Zeichen aus einem anderen Kulturzusammenhang. Soll man sie nach unseren Maßstäben beurteilen?

Das Gesten-Repertoire ist hingegen ziemlich fest umrissen, ja standardisiert. Sehr schwer zu sagen, ob es sich da um Begrenztheit der Mittel oder um bewußte Stilisierung handelt. Doppelgesichtig auch das Bühnengeschehen insgesamt. Da gibt es ergreifende, oft weit in die Bühnentiefe gestaffelte Bilder. Doch solche Momente sind stets absturzgefährdet. Links lauert bodenloser Tiefsinn, rechts flacher Kitsch. Es ist eine Gratwanderung.

Zudem findet kaum Entwicklung statt. Statt einer Tragödie, die sich ja irgendwie entfalten müßte, sehen wir eher eine Art Wehklage von Anfang an. Schon sehr bald bebt Othello mächtig vor Zorn – früh verschenkte Kraft. Es folgt ein ständiges Auf und Ab zwischen Erregung und Beruhigung, das wellenförmig durch die ganze Aufführung hindurchgeht.

Freundlicher Beifall des (theaternahen) Publikums.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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