Von Bernd Berke
Münster. Das hat man nicht alle Tage: die Uraufführung eines Stückes von Frank Wedekind. Für diesen Klassiker der Moderne haben einige Feuilletons jüngst eine „Renaissance“ ausgerufen. Jedenfalls erscheinen nun endlich Werkausgaben, und zwar gleich mehrere.
Im verstreuten Wedekind-Nachlaß fand man denn auch den halbwegs ausgefeilten Stückentwurf „Ein gefallener Teufel“, den direkten Vorläufer des „Marquis von Keith“, jener 1901 uraufgeführten Hochstapler-Komödie. Also ist’s bestenfalls eine halbe Uraufführung, denn den Stoff kennt man schon, wobei das Thema im „Teufel“ noch etwas klarer und simpler wirkt, noch nicht so überwuchert, aber auch noch nicht so umfassend.
Eine interessante Fallstudie für Germanisten und Dramaturgen – aber fürs Theater? „Der Marquis von Keith“ bleibt das stärkere Stück. Wedekind hat schließlich den Entwurf nicht grundlos umgearbeitet.
Die Geschichte bleibt so ziemlich gleich. Es geht hier wie dort um jenen windigen Herrn Marquis von Keith. Wenn zu Hause kein Geld für Brot da ist, dann will er halt im Spitzenhotel speisen. So einer ist das. Mit einem Luxus-Kulturprojekt namens „Feenpalast“ (sollte es da etwa Ähnliches in unserer Region und Gegenwart geben?) erleidet er Schiffbruch, wahrend sich die große Geschäftswelt souverän der Idee bemächtigt.
Zudem geht’s um Konflikte zwischen Moral und schrankenlosem Lebensgenuß. Das ist in die Farce getriebener Ibsen mit einigen Prisen Nietzsche und zynischen Aphorismen. Zum packenden Ereignis wird diese Mixtur in Münster nicht. Es ist eine redliche, bemühte Theater-Arbeit mit Betonung auf Arbeit.
Gespielt wird Dietrich W. Hübschs Inszenierung – zweieinviertel Stunden lang ohne Pause – auf einer kreisrunden, von Neonröhren eingefaßten Scheibe, die schräg zum Zuschauerraum geneigt ist, passend zum Schlußsatz: „Das Leben ist eine Rutschbahn“. Grelle Auf- und Abblendungen des Lichts stellen fast alle Szenen niveaugleich nebeneinander. Widersprüche werden so eingeebnet, wirkliche Zerrissenheit sieht man kaum.
Für Teile des Ensembles gilt das Sportlermotto: Was an Spieltechnik fehlt, will man durch Kampfgeist wettmachen. Wenn hier jemand Schmerz verspürt, tobt er gelegentlich über Tische und Stühle oder wirft sich theatralisch hin. Überhaupt geht man häufig zu Boden. Viele Szenen sind eine ständige Abfolge von Treten und Getretenwerden; Man könnte Herrschaftsverhältnisse auch subtiler und damit desto schärfer zeigen:
Komik wird auch aus dem Text entwickelt, mehr aber noch den Figuren aufgesetzt, Schrille Kleidung, groteske Körperhaltungen und sprachliche Absonderlichkeiten tun Wirkung, bleiben aber etwas an der Oberfläche. Münsters Kaufmannsgilde wird es schließlich gern sehen, daß der steinreiche Konsul Casimir Kramer-Gassmann (Friedhardt Kazubko) als seelenruhiger Vernunftmensch auftritt und kaum Spott abbekommt. Man ist hier am Ende ganz konservativ froh, daß er sich den „Feenpalast“ unter den Nagel reißt und nicht der unseriöse Keith (Michael Holm). Die stärksten Eindrücke hinterlassen eine schön chaotische Festivitäts-Szene im Mittelteil und der Schauspieler Michael Marwitz als „Ernst Scholz“, der eine herrlich stocksteife Absurdität ins Spiel bringt. .
Der Beifall war freundlich, aber rasch verrauscht.