Augenblicke plötzlicher Leichtigkeit – Graphik von Georges Braque in Münster

Von Bernd Berke

Kann aus ganz wenigen Objekten eine eigene Welt entstehen? Ja, in der Kunst geht das. Wie aus einer äußerst reduzierten Anzahl von Motiven eine im Prinzip endlose Reihe von Variationen hervorgeht, führt jetzt eine Ausstellung in Münster vor Augen: „Georges Braque. Graphisches Werk“.

Die rund 160 Exponate (Radierungen, Holzschnitte, Kupferstiche, Lithographien) stammen – bis auf vier Ausnahmen – aus einer deutsehen Privatsammlung. Der Sammler „C. L.“, der anonym bleiben möchte, hatte die Stücke teilweise schon vor 30 Jahren erworben. Heute sind manche Blätter gut das hundertfache wert. Besonders rare Stücke konnte der Mann kaufen, als er Kontakt zu Braques Drucker bekam. Der rückte auch schon mal Zustandsdrucke (also Dokumente von Zwischenstadien des Werkprozesses) heraus. So kann man nun gleichsam die Ursprünge und allmählichen Fortschritte der Braque-Graphik neben den End-Produkten besichtigen. Obwohl: „Fertig“ sind Braques Arbeiten im Grunde nie, sie bleiben immer offen für weitere Metamorphosen.

Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf den nach-kubistischen Phasen (bis 1963). Die Figuren sind also nicht mehr analytisch behandelt, nicht mehr blockhaft zerteilt und wieder zusammengefügt, sondern sie lösen sich zu sehr viel freieren Formen auf; zu verschlungenen Lineaturen, die an eine eigentümliche „Schrift“ erinnern, sich also am Rande der Abstraktion bewegen.

Interessant auch die Flächen um die eigentlichen Motive herum. Beispiel: Braque hat die Einfassungen seiner Bilder zu Hesiods „Theogonie“ (in Versen geschriebene Schöpfungsgeschichte des frühgriechischen Dichters) gleichsam als Ur-Chaos gestaltet, aus dem sich dann die Götter erheben.

Häufigstes Motiv aber ist der Vogel in konsequent vereinfachter Gestalt. Die besten Vogelbilder sind herrliche Studien über Freiheit (Flug) und ihre Begrenzung (Rahmen); es sind – so paradox das klingen mag – streng komponierte Augenblicke der Leichtigkeit.

„Georges Braque. Graphisches Werk“. Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte. Münster, Domplatz (bis 27. Oktober). Di-Fr 10-18 Uhr. Katalog 70 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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