Malen als verzweifelte Suche nach einem Ausweg – Arbeiten der früh verstorbenen Eva Hesse im Landesmuseum Münster

Von Bernd Berke

Münster. Die Künstlerin Eva Hesse schrieb 1964 in ihr Tagebuch: „Kein Wunder, daß ich mir Sorgen mache. Ab da zieht es mich immer wieder hinunter: Ich habe etwas an meinem Aussehen, an meiner geistigen Einstellung, an meinen Fähigkeiten auszusetzen, und am Ende bleibt gar nichts mehr von mir übrig.“

Inhalt und Tonfall erinnern ganz stark an depressive Passagen der amerikanischen Dichterin Sylvia Plath, die sich in jungen Jahren das Leben nahm. Eva Hesse war, als sie die zitierten Zeilen schrieb, eine gut aussehende 28 jährige Frau mit künstlerischer Zukunft. Doch offenbar war sie dem Unglück zugetan. Eine Ausstellung im Landesmuseum zu Münster beweist jetzt die außerordentliche bildnerische Kraft, die sich Eva Hesse selbst nicht zubilligen mochte.

Die 1936 in Hamburg geborene Eva Hesse kam 1939 mit den jüdischen Eltern ins New Yorker Exil. Sie wurde als junge Frau Schülerin des großen Josef Albers, der ihr Wesen zugleich er- und verkannte. Er vermißte das einheitliche Element in ihren Arbeiten, fand alles zu sprunghaft. Die Münsteraner Ausstellung macht deutlich: Gerade das ist eine Stärke von Eva Hesse gewesen, die 1970 mit nur 34 Jahren an einem Gehirntumor starb. Dies zu wissen tut doppelt weh, wenn man ihre Arbeiten sieht. Was hätte diese Frau noch bewegen können!

Stetige Sprünge und Risse im Werk

Die stetigen Sprünge in ihrem Werk bewahrten sie vor künstlerischen Moden. Sie paßt bis heute in keine gängige Kategorie. Eben hat man den Schock fließender Angstgesichter (Ölbilder um 1960) in ungeheuer kühnen Bildschnitten erlebt, da verblüffen (zeitgleich entstandene) Gouachen mit erlesenen Licht- und Schattenwirkungen.

Fast zeitlich parallel verläuft auch jene Phase, in der sie plötzlich so ungestüm und „wild“ malt, wie es andere erst zwanzig Jahre nach ihr – und zumeist schlechter – getan haben. Um 1963 wendet sie sich einer rätselvoll-labyrinthischen Zeichensprache mit Pfeilen und Strecken zu – Suche nach Wegen und Auswegen auf der Leinwand? Maschinenförmige Wesen, die mit pflanzlicher und sexueller Neben-Bedeutung aufgeladen zu sein scheinen, sind Kennzeichen einer weiteren Arbeitsphase.

Viele Bilder wirken, als habe die Künstlerin sie zwischendurch verzagt verworfen und als habe sie dann doch immer wieder neu angesetzt. Das unstete Element schafft nicht nur eine Kluft zwischen Werkgruppen, sondern spaltet schmerzhaft jedes einzelne Werk. Es sind Inbilder der Zerrissenheit.

Spekuliert man zuviel, wenn man sagt: Da hat eine wie besessen gemalt, die im Grunde gar nicht mehr weitermalen wollte, es aber unbedingt mußte? Selten sieht man Kunst, die auf den ersten Blick so zufällig erscheint – und die doch solche Spuren von Lebensnotwendigkeit trägt.

Jede neue Wendung in ihrem Werk ist spannend, auch der allmähliche Eintritt in die dritte Dimension, mit dem die Münsteraner Auswahl schließt. Zunächst ganz vorsichtig tasten sich Tentakel aus den Bildern heraus. Daraus entwickeln sich Skulptur-Objekte von verzweifelter Stille.

Eva Hesse. Bilder und Reliefs. Westfälisches Landesmuseum. Münster (Domplatz). 7. August bis 16. Oktober, di-so 10-18 Uhr. Katalog 49 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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