Von Bernd Berke
Recklinghausen. Museums-Chef Dr. Ferdinand Ullrich machte am Samstag die Probe vor versammelter Presse. Erst Klopfzeichen, dann: „Wolfgang, hörst du mich?“ – Beuys-Schüler Wolfgang Wendker (alias „IGADiM“) hörte. Dumpf kamen seine Antworten („Mir geht’s gut“) aus einem mit Stahldeckel verschlossenen Erdloch. Der unterirdische Künstler (die WR berichtete über das Projekt) setzt den wohl auffälligsten Akzent bei der Ausstellung der Ruhrfestspiele.
Doch auch sonst hält die gestern eröffnete „Europäische Werkstatt Ruhrgebiet“ einiges bereit. Sicher: Es gibt da einige Kopfgeburten, die ihre Deutung gar zu offensichtlich nahelegen. Doch das Gros der Arbeiten hält auch dem kritischen zweiten Blick stand. Vorbei jedenfalls die Zeiten jener Festspiel-Schauen, bei denen pflichtschuldigst die montanindustrielle Vergangenheit bemüht wurde, meist mit Gemälden aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts. Diesmal ist man deutlich näher an der Gegenwart.
Der Strukturwandel im Revier gibt gleichsam den Takt vor, 34 Künstler aus ganz Europa (Polen bis Island, Türkei bis Norwegen) haben sich damit auseinandergesetzt. Bis auf einige Projektskizzen gibt’s auch keine Bilder zu sehen, sondern 55 Installationen in allen drei Museen der Stadt und im Freien. Einige Arbeiten werden der Stadt erhalten bleiben. Die Kunst erobert Terrain.
Bestes Beispiel in diesem Sinne ist Vincenzo Bavieras gigantischer „Streitwagen“ auf einer Wiese vor dem Hauptbahnhof. Das Monument des Schweizers besteht aus einer Seilscheibe und Fahrleitungsmasten, greift also Formen des Bahnverkehrs und der Zechentechnik auf, verschmilzt sie zu geglückter Einheit.
Der Italiener Silvio Wolf erhebt, vor allem an der Fassade der Kunsthalle, mit Blattgold-Einfasssungen simple Signets des Bergbaus ironisch zu Ikonen, er bezieht sich damit auch auf das renommierte Ikonenmuseum am Ort. Just dort entfachte Raffael Rheinsberg (Berlin) Volkszorn, weil er die Gebäudefront mit einem Fries von Gefahrenwarnschildern aus der Arbeitswelt versehen hat. Manche sehen darin eine Verunglimpfung religiöser Inhalte des Ikonenmuseums. Staunenswert präzise hat Andrej Roiter (UdSSR) eine Wehmut des
Reviers mit seinen „Workersongs“ (Arbeiterlieder) getroffen: Kalte Neonschrift überstrahlt schäbige, mit Kohlestaub gefüllte Koffer. Die Vergangenheit auf Abreise ins Exil.
Abgesänge aufs schwarze Gold auch sonst: Der Spanier Julio Jara präsentiert Kohlebrocken im abweisenden Stahlgehege wie Reliquien, der Brite David Nash schichtet verkokelte Grubenhölzer zu einer Art Grabeshügel auf. Die schöne neue Zukunftswelt der Europäischen Gemeinschaft (EG) hat der Schwede Stefan Karlsson im Visier: Er packt die Buchstaben E und G schlicht auf zwei Einkaufswagen – ein Kontinent erliegt Kommerz und Konsum.
„Europäische Werkstatt Ruhrgebiet“. Recklinghausen, Kunsthalle, Vestischeses Museum, Ikonenmuseum, diverse Freigelânde. Bis 17. Juli. Di-Fr 10-18, Sa/So 10-17 Uhr, Katalog 20 DM.