Sonneborn steigt in den Wahlkampf ein – mit 99 launigen Ideen und einigen „Bonustracks“

Es ist angeblich Wahlkampf – und da führt man sich schon mal ein politisch angehauchtes Büchlein zu Gemüte. Angehaucht? Naja, schon durchdrungen.

Der mittlerweile weithin bekannte Martin Sonneborn („& seine politische Beraterin“, Claudia Latour) stemmen „99 Ideen zur Wiederbelebung der politischen Utopie“. Ausweislich des Covers ist hier das Kommunistische Manifest durch Streichung von „munist“ das komische Manifest geworden. Man ist schließlich der Satire verpflichtet, so ungefähr vom Geiste der „Titanic“.

Und was steht drin? So allerlei. Und es scheint, als werde hier nichts, aber auch gar nichts ernst genommen – vielleicht erst einmal ein ratsamer Zugriff in diesen Zeiten. Alle bestehenden Parteien (außer Sonneborns „Die Partei“, versteht sich) seien überflüssig, heißt es sogleich. Alles nur öde Realisten, die unentwegt öde Realpolitik betreiben. Auch die Grünen kommen in dieser Hinsicht nicht besonders gut weg. Im Laufe der Lektüre wird sich zeigen, dass eben doch ein paar grundlegende Forderungen erhoben werden, die nicht nur spaßig gemeint sind.

Vorschläge gibt’s, die nicht ganz von der Hand zu weisen sind: Wenn die Regierenden schon so viele Aufgaben an teure Berater auslagern, warum dann nicht gleich zwischen den Beratern wählen? Außerdem (kleine Auswahl): resolute Mütter ins Parlament! Überhaupt: mehr Berufe in den Bundestag! Vakzin-Patente freigeben! Minister durch preiswertere Osteuropäer ersetzen! Tempolimit sofort! Komplette Abschaffung des Adels! Facebook & Co. „fairstaatlichen“! Schulunterricht erst ab 10 Uhr! Keine Bankenrettung mit Steuergeld! Vor allem aber: bedingungsloses Grundeinkommen! Weg mit der Schufa! Armut verbieten, Reichtum hart besteuern!

Klingt ziemlich radikal im Sinne von „an die Wurzel(n)“ gehend, oder? Verabreicht werden die meist knackig kurzen Lektionen ausgesprochen launig, ein mehr oder weniger kalauerndes Wortspielchen (statt GroKo etwa „GroKo Haram“) ist allemal drin. Über die praktische Umsetzung der Utopie muss man sich als Satiriker ja nur bedingt Gedanken machen. Das wäre ja öde Realpolitik.

Wer die auf dem Titel verheißenen „99 Ideen“ absolviert hat, ist mit dem Buch noch nicht durch. Es folgen nämlich noch „33 Bonustracks“ von ähnlichem Kaliber. Noch ein paar Kostproben: Die Menschen für Theaterbesuche bezahlen – nach dem Vorbild der alten Griechen! (Soll gegen Verblödung helfen). Weg mit dem Massentourismus! Jedwede Religion sei Privatsache! Cannabis legalisieren, Privatisierungen rückgängig machen, Chaos Computer Club (CCC) soll für die Digitalisierung zuständig sein! Wenn Christian Lindner das liest, fällt er vom neoliberalen Glauben ab. Oder auch nicht.

Genug! Man muss das beileibe nicht alles unterschreiben, aber insgesamt hat das Buch etwas Erhellendes und Anregendes. Endlich mal beherzter Klartext in diesem bislang so müden Wahlkampf. Bleibt aber wahrscheinlich auch herzlich folgenlos.

Kleine Nebenbemerkung: Joseph Beuys wird als vermeintlich vorbildlicher Erz-Demokrat nach meinem Empfinden zu bruchlos gepriesen. Neuerdings wird sein Schaffen doch in anderen Kontexten und durchaus kritischer diskutiert. Nachvollziehbar hingegen die Loblieder auf Wikileaks und das umtriebige, leider so früh verstorbene Kreativ-Genie Christoph Schlingensief. Jammerschade, dass er nicht mehr ins Geschehen eingreifen kann.

Martin Sonneborn (& seine politische Beraterin): „99 Ideen zur Wiederbelebung der politischen Utopie“. Kiepenheuer & Witsch (KiWi-Taschenbuch). 192 Seiten, 10 Euro.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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