Ein Schönling schmilzt dahin – Bodo Kirchhoffs filmreifer Roman „Infanta“

Von Bernd Berke

„Mindanao, Cebu City, Frankfurt und Rom – Januar 1985-Januar 1990″. Diese „Signatur“ von Bodo Kirchhoff am Schluß seines Romans läßt auf mehrerlei schließen. Der Autor ist reisefreudig, und er hat sich beim Schreiben Zeit gelassen. Er hat sich nicht dem Zwang unterworfen, jedes Jahr mit einem neuen Werk „auf dem Markt“ zu sein.

Ein häufiger Vorwurf an unsere Schriftsteller lautet ja, daß sie vor dem bis dato weitgehend behüteten, nicht eben zum rauschhaften Schaffen antreibenden Leben hierzulande in ferne Weiten flüchten – in Träume, erklügelte Künstlichkeiten oder fremde Länder.

Solchen Anwürfen entgeht Kirchhoff virtuos, indem er sie unterschwellig zum Thema macht. Da läßt er einen – sonst im römischen Luxus-Ambiente wohnenden – Deutschen namens Kurt Lukas, charakterlich so blaß wie die beliebige Abfolge seines Vor- und Zunamens, mitten in philippinische Revolutionswirren taumeln. Lukas ist Dressman für edle Reklame: „unbeschriebenes Blatt“, Schönling, unbeleckt von größerem Leid. Ausgerechnet so ein Mann gerät nun, quasi stellvertretend für eine (in Sachen Existenznot relativ unbedarfte) „gesamteuropäisch-amerikanische“ Zivilisation, in die Provinz eines bitter armen Landes der „Dritten Welt“.

Ohne daß Namen genannt werden, ist bald klar, daß der mit Elementen eines Polit-Krimis verschnittene Roman in jener Zeit spielt, als Diktator Marcos sich noch mit schmutzigsten Mitteln an die Macht klammerte, während die Mehrheit des Volkes für Frau Aquino demonstrierte. Zahllose Details lassen ahnen, daß sich der Autor intensiv auf den Inseln umgetan hat. So entgeht er der oberflächlichen Exotik der Schauplätze.

In die politische Zwischenzeit fällt Lukas wie in eine Untiefe: Die unaufhörlich lastende Hitze des Landes löst alle festen Formen auf, auch die Seele gerät „ins Schwimmen“. Politisch-erotischer Siedepunkt der Handlung ist das in Manila spielende Mittelstück, drittes von fünf Kapiteln. Die Aufteilung gemahnt ans klassische Drama.

Fünf Missionare, eine bizarr-liebenswerte Gesellschaft alter Männer, haben Kurt in der tiefsten Provinz der philippinischen Südinsel aufgenommen. Das heißt, eigentlich locken sie ihn dorthin, um mit ihm einen subtilen Lebend-Versuch über die irdische Liebe anzustellen, die sie allesamt nie so richtig kennengelernt haben. Zweite „Versuchsperson“ ist die wunderschöne Philippinin Mayla, zunächst Haushälterin bei den frommen „Fathers“, dann (im Sinne der Landreform) einflußreiche Sekretärin beim Bischof, die gezielt mit Lukas zusammengebracht wird.

Kirchhoff führt ein facettenreiches Panoptikum der Liebes-Zustände vor – vom kaum noch erzählbaren Ideal-Zustand bis zur absoluten Negation. Und mehr noch: Es ist dies auch ein über weite Passagen beinahe kokett-zurückhaltend wie spannend erzähltes Buch, z. B. über Reibungsverhältnisse zwischen Sprache und Liebe, Leben und Schreiben, zwischen politischer Wirklichkeit und ihrer dramaturgisch zugerichteten Darstellung in den Medien.

Kirchhoff verfügt über einen raffinierten, nur scheinbar „einfachen“ Stil. Ständige Perspektiven-Wechsel (Zitate aus fiktiven Tagebüchern der Missionare) verfeinern noch die Darstellung. Solch souveräne Könnerschaft gleicht überlegener Kälte zum Verwechseln.

Übrigens: Das Buch ist so bildkräftig, daß es nach Verfilmung „schreit“. Schon die Eingangsszene wirkt kinogerecht, wie mit einer Kamera abgetastet. Überhaupt ist Kirchhoff besonders ein Meister der Anfänge, während er für die „Durchführung“ nicht durchweg den nötigen Langstrecken-Atem hat.

Bodo Kirchhoff: „Infanta“. Roman. Suhrkamp-Verlag, 502 Seiten. 39,80 DM

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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