Zwei Yuppies im Land der Orgien – Claude Chabrol hat Henry Millers „Stille Tage in Clichy“ verfilmt

Claude Chabrol verfilmt ein Buch von Henry Miller. Da läuft Film- wie Literaturfans doch das Wasser im Munde zusammen. Der entlarvende Beobachter des Bürgertums und der (nicht nur, aber auch) vital-genialische „Schweinigel“ aus Brooklyn — das müßte doch eine knisternde Melange ergeben?!

Doch da klafft ein Unterschied: Miller, dessen freizügige Bücher vielfach auf dem Index standen, war wirklich ein Bürgerschreck, Chabrol hingegen ist nur ein erschrockener Bürger. Irgend jemand hätte ihm, der so oft und unnachahmlich von innen her die haarfeinen Risse in bürgerlichen Fassaden gezeigt hat, davon abraten sollen, sich an Millers „Stille Tage in Clichy“ zu wagen. Da spielt nämlich „Normalität“, die Chabrol wohl als Resonanzboden braucht, gar keine Rolle; das Buch ist konsequent aus der Bohème-Perspektive geschrieben.

Paris, Anfang der. 30er lahre. Politisch brodelt’s schon mächtig. Trotzdem oder gerade deshalb sind in Bars und Bordellen an der Seine reihenweise Orgien angesagt. Der amerikanische Schriftsteller Joey (= Henry Millers zweites Ich) und sein Kumpan Carl sind mittenmang, sie greifen frisch hinin ins volle Frauenleben.

Doch was ist das? Mit Andrew McCarthy und Nigel Havers stellt Chabrol zwei ausgesprochene Yuppie-Bübchen vor die Kamera. Zu allem Überfluß müssen die beiden hier einen plüschig-„verruchten“ Altherrensex betreiben – in derart schwülstig überladenen Etablissements, daß man den Titel kalauernd ändern sollte: „Stille Tage in Klischee“.

Und die Dialoge: unerträglich abgeschmackt. Wo bei Miller die rasche Abfolge von sexueller Aktion und philosophischer Reflexion (ein Pendeln zwischen Nippeln und Nietzsche) für Wechsel-Spannung sorgt, bleibt hier beides seltsam belangtes und öde. Da wird z. B. ständig tiefsinnig über den Schriftsteller Marcel Proust geschwafelt, dazu fließt – logisch – literweise Champagner. Und was kommt dabei herum? „Prost, Proust!“ sozusagen, mehr nicht. Der Film findet einfach keine Linie und, schlimmer noch, kein Chaos.

Was sonst noch geschah: In einer dürftigen Rahmenhandlung will ein steinalter Schriftsteller (mitten in seinen Todesvisionen) mit einern süßen Nymphchen schlafen. Dazwischen dann die Rückblicke in die 30er Jahre. Bevor eine Frau da ihre Brüste vorzeigt, gibt sie mächtig an: „Wollt ihr das achte Weltwunder sehen?“ Ja doch, bitteschön! Doch hauptsächlich sehen wir hier den (vorläufigen?) Niedergang eines vormals verehrten Regisseurs.

„Stille Tage in Clichy“ (DeutschI./Frankr./Ital.). Regie: Claude Chabrol. Mit Andrew McCarthy, Nigel Havers, Mario Adorf. Jetzt im Kino.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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