Eine Liebe zum Versteinern – „Die Brautjungfer“ von Claude Chabrol

Von Bernd Berke

Claude Chabrol demaskiert nicht mehr das gehobene Bürgertum. Dies sind offenbar erledigte Fälle! Mit seinem neuen Film „Die Brautjungfer“ (Buchvorlage Ruth Rendell) blickt Frankreichs Kunstkino-Veteran vielmehr hinab in mythische Abgründe. Gäbe es hier einen Fluss, so müsste er antikisch Styx oder Acheron heißen und stracks in Richtung Unterwelt strömen.

Auf der saft- und kraftlosen Hochzeit seiner Schwester (ein Jüngelchen als Ehemann, die Feier nahe am Fiasko) verliebt sich der 25-jährige Philippe just in eine Brautjungfer. Damit hält endgültig das Untergründige Einzug in diese provinzielle, ohnehin schon wie ausgestorben daliegende Welt. Die junge, doch meist überaus ermüdet wirkendeFrau gibt sich selbst den Namen Senta – nach jener Figur in Richard Wagners „Der fliegende Holländer“. Flugs im Opernführer vergewissert: Senta war ganz entschieden eine Entrückte, sie wollte treu sein bis in den Tod und stürzte sich am Ende vom Felsen ins Meer.

Nicht so recht von dieser Welt

Auch diese Brautjungfer ist eher ein Phantom, nicht so recht von dieser Welt. In ihren Augen glimmt so etwas wie Todessehnsucht. In wacheren Momenten behauptet sie, auf dem Sprung zur Schauspiel-Karriere zu sein. Bei Woody Allen habe sie schon mal reingeschnuppert. Dreiste Lüge? Es wäre überprüfbar.

Doch Philippe (Benoît Magimel) ist halt von ihr fasziniert. Er überlässt sich ihrer düsteren Aura. Mehr und mehr zeigt sich, dass sich diese Senta (wie von reinem fernen Stern: Laura Smet) in eine ganz eigene, lebensferne Welt versponnen hat. Manchmal wirkt sie, als bestehe sie aus Stein. Sie verdöst ihre Tage im Keller eines verfallenen Hauses, während ihre Stiefmutter droben mit einem Latin Lover den Tango übt. Welch ein Kontrast.

Im Kreislauf des Misstrauens

Auch Philippe lebt noch bei seiner Mutter, einer Friseuse, die sich nach einem reichen, älteren Freund verzehrt. Doch Väter und väterliche Figuren gibt es hier nicht – oder sie verflüchtigen sich rasch ins Ungefähre. Sogleich ist für Senta klar, dass sie nun für immer und ewig Philippes Frau ist – und wehe, wenn er nicht genau so denkt!

Alsbald wird sie etwas Irrsinniges von ihm verlangen, um diese wirre Liebe zu bekräftigen. Er soll einen beliebigen Menschen töten, und sie will’s ihm nachmachen. Nun beginnt ein Kreislauf des Misstrauens, der heimlichen Nachstellungen, des Verschweigens – bis es tatsächlich eine Leiche gibt und Sentas kleine Schwester als Diebin auffällt. Das führt die Polizei auf eine doppelte Spur und die bislang verhaltene Spannung steigt.

Der freihändige Mord nach Gutdünken („acte gratuit“) hat als Motiv schon die französischen Existenzialisten umgetrieben. Überhaupt bedient sich Chabrol mit eleganter Geläufigkeit aus dem Fundus: Auch die inbrünstige Liebe zu einer steinernen Frauenbüste, der Philippe insgeheim anhängt, ist kulturhistorisch aktenkundig. Chabrol gestattet uns schließlich kaum noch Blicke ins Freie, kaum einen lichten Moment. Es ist schier zum Versteinern! Doch irgendwann muss man ja wohl das Kino verlassen.

 

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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