Von Bernd Berke
Dortmund. Für gewöhnlich hüten die Briten Werke ihres wohl größten Künstlers, Joseph Mallord William Turner, wie den sprichwörtlichen Augapfel. Dazu sind sie auch verträglich verpflichtet. Für die Dortmunder Auslandskulturtage mit der Insel macht jetzt jedoch Leeds, die Partnerstadt der Westfalenmetropole, eine Ausnahme.
20 Aquarell-Blätter von Turner, „Vogelstudien“, sind ab morgen bis 18. Juni (di-so 10 bis 18 Uhr) im Museum für Kunst und Kulturgeschichte an der Hansastraße zu bewundern — erstmals außerhalb Englands. Strengste Auflagen waren Bedingung für diese kleine Sensation: Die empfindlichen Bilder dürfen nicht hell angestrahlt und nur hinter spiegelndem Glas gezeigt werden. Riesenformate darf man da nicht erwarten, ja angesichts einiger der kleinsten Exponate empfiehlt es sich sogar ernstlich, eine Lupe mitzubringen.
Die Ausstellung zeigt sozusagen den „privaten“ William Turner, nicht den Maler jener von unvergleichlichen Lichtnebeln durchzogenen Landschaften, nicht den genialen Vorläufer der Impressionisten. Turner fertigte die Vogelstudien zwischen 1808 und 1824 für die Familie seines Freundes und Mäzens Walter Fawkes, auf dessen Landsitz Farnley Hall in der Grafschaft Yorkshire. Gedacht waren die Bilder als Ergänzung vogelkundlicher Alben, in die auch Federn und sogar Schnäbel eingefügt wurden; all das diente Fawkes zur unterhaltsamen Belehrung.
Hintergrund: Damals war es vornehme Sitte, naturkundliche oder Kuriositäten-Kabinette anzulegen. Losgelöst von diesem ursprünglichen, eher profanen Kontext, können Turners Vogelstudien heute als autonome Kunstwerke wahrgenommen werden. Ohnehin sind es keine zoologisch exakten, sondern künstlerisch inspirierte Darstellungen; ein Blatt wie „Schottisches Moorschneehuhn“ – in der alten Konvention von Geflügel-Stilleben – ist schon die Ausnahme. Augenfällig wird die über Natur und Kunsttradition weit hinausreichende künstlerische Zutat hingegen bei einem Blatt wie „Kampfhahn“, dessen Machart an die furiose Abstraktionskraft des Landschaftsmalers Turner gemahnt. Auch beim toten, zartblau schimmernden „Eisvogel“ handelt es sich nicht einfach um ein Vogel-, sondern auch um ein Sinnbild.
Alle Arbeiten zeigen die Tiere für sich, ohne szenische Hintergründe, und die meisten sind nach dem für Turner typischen Kopf-Hals-Schema ausgeführt, das heißt: Nicht der ganze Vogel ist abgebildet. Dies nähert manche Darstellungen formal dem menschlichen Brustbild und damit manchmal gar (wie etwa bei der „Schleiereule“) einem „menschenähnlichen“, individuellen Ausdruck an.