Jedes Bild ein neuer Aufbruch – Vitales „Spätwerk“ von Emil Schumacher in Düsseldorf

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Als fange die Kunst noch einmal ganz von vorn an, krümmt sich – wie auf einer vorzeitlichen Höhlenzeichnung – ein Pferd, es scheint im Bildraum zu stürzen. Doch dann der Hintergrund: giftig-gelb, ein farblicher Aufschrei, wie er so nur in unserem Jahrhundert möglich ist. Ganz von vorn und doch immer ein neuer Aufbruch – überhaupt ein Kennzeichen der Arbeiten Emil Schumachers (76), des Hagener Ehrenbürgers mit internationalem Ruhm.

Kaum können zeitliche Entwicklungen nachvollzogen werden, denn jedes Einzelbild verlangt nach einer Betrachtung „für sich“, erst recht die vierzig „späten Bilder“ (seit 1969), die ab heute bis zum 25. Juni in der „Kunstsammlung NRW“ am Düsseldorfer Grabbeplatz zu sehen sind und dann in die Ferne (Budapest, Madrid) reisen.

Gegenüber der Erstpräsentation 1988 in der Berliner Nationalgalerie ist die Zusammenstellung erheblich verändert worden. Das besagte Pferdebild (Titel: „Fallaca“, 1989) war seinerzeit noch gar nicht entstanden. Es ist übrigens die einzige gegenstandsnahe Arbeit in Düsseldorf – Hinweis auf eine künftige Hinwendung zum Figurativen? Hinzugekommen sind außerdem sieben Gouachen. Doch ansonsten sah sich Museums-Chef Werner Schmalenbach aus Platzgründen gezwungen, auf die meisten Berliner Bilder zu verzichten. Er glaubt aber, daß die derart konzentrierte Düsseldorfer Version intensiver und spannender geraten sei. Schmalenbach bekennt, erst 1961 (als er Schumacher in Hannover ausstellte) von der Kunst des Hageners überwältigt worden zu sein. Seitdem habe er sich laufend mit diesem Werk befaßt. Nur beipflichten kann man SchmaÏenbach in der Kritik am im Berlin erstellten Katalog (30 DM), der – mit bonbonfarbenen Titelrand – Schumachers Farbempfinden Hohn spricht und im Innern mächtig von den Originaltönen abweicht.

Ein Grund mehr also, nach Düsseldorf zu kommen und die Bilder selbst zu betrachten. Vor den Arbeiten stehend, spürt man denn auch erst die „sportive Aggressivitat“ (Schmalenbach), mit der sich Schumacher an seinen Bildern abarbeitet. Doch pure Aggression wäre keine Kunst. Gegengewicht sind jene vorsichtig, tastend und skrupelhaft geführten Linien, die dem reinen „Angriff“ auf die Bildfläche Einhalt gebieten und der zuvor reinen Körperlichkeit Geist und Seele einhauchen.

Exotische Titel verleihen den meist schrundig aufgerauhten Bildern zusätzliches Geheimnis: „Halaf“, „Autuno“, „Tamana“, „Elam“, „Harim“, „Maroussi“ – in Reihenfolge gelesen, wirkt das wie orientalische Poesie. Die Titel „helfen“ nicht eigentlich beim Verstehen, lenken aber zuweilen die Assoziationen, so bei der Arbeit „Lacrima“ (Tränen) von 1977, deren Oberfläche wirklich zu weinen scheint, oder bei „Hiob“: Nicht die biblische Leidensgestalt, vielleicht aber ihr ganzer Weltjammer wird da sichtbar.

Gerne würde Werner Schmalenbach, dessen Haus zwei Bilder von Schumacher besitzt, ein weiteres erwerben. „Besonderen Appetit“ habe er auf das großartige „Indemini“ (1974), ein Materialbild mit Teerstücken. Doch es fehlt Platz für dauerhafte Hängung. Schmalenbach: „Einen Schumacher kauft man nicht, um ihn im Depot zu verstecken.“ Womit er abermals recht hat.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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