Plötzlich beginnt die Kunst sich zu regen – Werkschau des Kinetikers Pol Bury in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. So viel sichtbare Bewegung hat es im Dortmunder Ostwall-Museum wohl noch nie gegeben. Nun schnurrt es und regt sich an allen Ecken und Enden: Der Kinetik-Künstler Pol Bury und über 100 seiner Werke sind da.

Der Belgier Bury (72) gehört zu den internationalen Größen der kinetischen Richtung, die den Kunstobjekten vorzugsweise Elektromotoren einpflanzte und ihnen so die starre Ruhe austrieb. Bereits 1955 nahm er an der berühmten Pariser Schau „Le mouvement“ (Die Bewegung) teil. In Dortmund sieht man nun erstmals in gebührender Breite, was er davor geschaffen hat: surrealistische Denk-Bilder in der direkten Nachfolge eines René Magritte. Kaum war Bury vom Gedanken der Bewegung ergriffen, hörte er mit dem Malen auf, ja, er vernichtete einen großen Teil seiner Bilder. Magritte war über diesen Sinneswandel so zornig, daß er Bury nicht einmal mehr grüßte.

Die „bewegte“ Phase beginnt mit abstrakten, gegeneinander versetzten Scheiben, denen man noch mit der Hand Anstöße versetzen kann. Doch dann übernehmen Motoren, elektromagnetische oder hydraulische Vorrichtungen diese Arbeit. Und so steht der Besucher in Dortmund staunend vor Prozessen, die ohne sein Zutun ablaufen: Hier zittert ein dürres Gezweig, als streife ein sanfter Wind hindurch, dort rumpeln kantige Holzstücke aneinander vorbei, oder es ruckeln lauter Kugeln auf einer schiefen Ebene, ohne herunterzufallen – alles wie von Geisterhand.

Die Entdeckung der Langsamkeit

Ein Kennmal Burys ist die „Entdeckung der Langsamkeit“. Er arbeitet weder so zupackend noch so monumental wie einst Jean Tinguely, auch wenn die größte Arbeit in Dortmund immerhin sieben Meter breit ist und 4087 bewegliche Teile umfaßt. Doch selbst in dieser Ausdehnung walten Zurückhaltung und Bescheidenheit, denn Bury betätigt die Bremse. Bewegung ja, aber nicht zu rasch. Man könnte im Trubel das Sehen verlernen. Nur wenige Objekte drehen sich daher so schnell und eindeutig, daß man es sofort wahrnimmt. Die allermeisten scheinen gemächlich abzuwarten, bis sie – an einer gar nicht vorhersehbaren Stelle – ganz plötzlich zucken. Man lauert geradezu, daß man sie dabei ertappt.

Manche Leute versetzt diese Wartestellung in meditative Ruhe, andere mögen eher ein nervöses Kribbeln verspüren und unduldsam ausrufen wollen: „Nun rühr dich doch endlich!“ Mit anderen Worten: Diese Werke taugen auch als Stimmungsbarometer. Vor allem aber als Schule der wachen Sinne.

Ist das alles berechnet, oder ist es Zufall? Pol Bury hüllt sich in Schweigen. Es ist wohl eine ausgeklügelte, seit langem erprobte Mischung aus beidem. Man könnte eine ganze Chaos-Theorie daran knüpfen. Man kann aber auch seine schiere Freude haben an der feinen Ironie, die in diesen Arbeiten mitschwingt. So etwa in den wirklich mobilen „Möbeln“, in denen es hölzern rattert, knarzt und schnarrt – lebendige Schränke, in denen buchstäblich „etwas los“ ist.

An einer anderen Stelle der Schau wird zwar nicht der Hund, wohl aber das Ei in der Pfanne verrückt. Scheinbar magische Kräfte lassen die Hühnerprodukte auf dem Metall rotieren. Und einige der Maschinchen sind sogar – auf elementarer Stufe – musikalisch, denn ihre Kräfte versetzen Saiten in Schwingung.

Vor Trivialisierung sind derlei Dinge nie ganz sicher, einzelne Einfälle sind von anderen zu billigem Kunsthandwerk herabgezerrt worden. Aber da ist es Kommerz. Bei Bury ist es ein Kosmos.

Pol Bury. Retrospektive 1939-1994. Museum am Ostwall, Dortmund. 14. August bis 16. Oktober. Di-So 10-17 Uhr. Mo geschlossen. Eintritt 4 DM. Katalog 49 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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