Von Bernd Berke
Selm/Cappenberg. Im Teehaus ging es oft zu wie in „Dallas“. Dort konnte man, anders als hinter papierdünnen Wänden daheim, in sonorer Lautstärke üble Intrigen einfädeln – und das womöglich in Gegenwart kluger und schöner Kurtisanen. Solche Situationen waren und sind der Ausgangspunkt für Stücke des japanisehen Kabuki-Theaters, das – im Gegensatz zum höfischen No-Theater – für die breiten Volksmassen gespielt wurde.
Einen faszinierenden Einblick in diese fremdartige Bühnenweit der „Helden, Schurken, Kurtisanen“ (Ausstellungstitel) gewähren jetzt im Schloß Cappenberg 294 Holzschnitte nach Kabuki-Aufführungen. Zusammengetragen hat sie der Essener Sammler Hendrick Lühl (52), im Hauptberuf Jugendrichter.
Lühl hat sich auf Arbeiten der Holzschnitt-Meister aus dem Osaka des 19. Jahrhunderts spezialisiert und verfügt auf diesem Gebiet über eine bundesweit einzigartige Kollektion, die in Cappenberg erstmals zugänglich gemacht wird. Selbst in Japan gibt es nur eine Sammlung, die auf diesem begrenzten Felde mehr zu bieten hat.
Hintergrund: „Rund 98 Prozent“ (Lühl) aller Kabuki-Illustrationen entstanden in Edo (heute Tokio), der rare Rest in Osaka. Bis vor einiger Zeit waren diese Varianten, da von der Fachwelt sträflich vernachlässigt, noch relativ preiswert zu haben. Stilkennzeichen für Darstellungen aus Osaka sind – respektlos gesagt – die rundlichen „Hängebacken“, mit denen die Schauspieler auf den Bildern erscheinen, während in der Edo-Variante kantig-eckige Gesichter „Vorschrift“ sind.
Und so entstanden die Bilder: Schon während der Proben fertigte ein Künstler Szenen- und Porträt-Skizzen an, die hernach dem Holzschnitzer als Vorlage dienten und oft farbenprächtig auf schweres Büttenpapier gedruckt wurden – so zeitig, daß sie schon zum Start einer neuen Aufführung vorlagen. Auch vergötternde Gedenkbilder für verstorbene, besonders berühmte Schauspieler entstanden in Osaka.
Die in Cappenberg versammelten Exemplare zeigen durchgehende Merkmale. Besonders ins Auge fällt die – für unsere Begriffe – kämpferisch-verkrampfte, posierende Haltung der abgebildeten Schauspieler. Tatsächlich galten derlei Posen, ja selbst das gekonnte Schielen als absolute Gipfelpunkte der Kabuki-Schauspielkunst. Die Darsteller erstarrten mitunter, von ihren Fans im Publikum angefeuert, minutenlang in diesen kunstvollen „Verrenkungen“.
Traum heutiger Schauspieler: Die Mimen standen so hoch auf der sozialen Leiter, entfalteten so viel Luxus, daß sie – neben den Kurtisanen – als die Modefürsten der Gesellschaft gelten konnten. Solche Pracht findet sich auch auf vielen Kabuki-Holzschnitten wieder.
Frauen durften bei den oft ganztägigen Volksfesten des Kabuki übrigens nur in der Gründerphase (bis ca. 1650) mitspielen. Im 19. Jahrhundert standen längst nur noch Männer auf der Bühne – auch als Kurtisanen. Das hat sich bis heute nicht geändert.
Die Cappenberger Ausstellung, bislang größtes Projekt des Kreises Unna am Platze, soll – so hoffen die Veranstalter – international Wirkung zeigen. Vorsichtshalber ließ man schon eine englische Übersetzung des informativen Farbkatalogs (28 DM) anfertigen. Ein Museum in Boston (USA) signalisierte bereits Interesse. Durchaus denkbar, daß auf dieseift Umweg auch ein japanisches Kultur-Institut die Schau übernimmt.
„Helden – Schurken – Kurtisanen“ (Schloß Cappenberg, bis 28. Februar 1988, täglich 10 bis 17 Uhr außer montags; 24., 25., 26. und 31. Dezember sowie 1. Januar geschlossen).