Monatsarchive: November 1987

Handkes „Kaspar“ ertrinkt in einer Flut von Bildern – Roberto Ciullis Inszenierung in Mülheim

Von Bernd Berke

Mülheim. Peter Handkes „Kaspar“ auf die Bühne zu bringen, zeugt heute von erlesener Kühnheit. Sehr zeitgebunden erscheinen Bau und Rhythmen des 1967 geschriebenen Textes. Längst zum Klischee verfestigt hat sich die Einschätzung, die Maschinerie dieses Sprechstücks werde von skandierten Demo-Sprüchen und dem „Beat“ jener Jahre mit angetrieben.

Umso spannender die Frage: Wie geht das Theater heute mit dieser – eigentlich untheatralischen – Vorlage um? Roberto Ciullis Inszenierung, die jetzt in der Mülheimer Stadthalle Premiere hatte, gibt, wie kaum anders zu erwarten, eine höchst eigenwillige Antwort. Handke ging es noch um die pure Materialität der Sprache und darum, wie mit Wort- und Satzmaterial Kaspars Identität erschaffen und sodann stromlinienförmig normiert, also zerstört, wird.

Die „Einsager“, die „Kaspar“ durch … Weiterlesen

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„Maria Stuart“ und die Lust an der Buße

Von Bernd Berke

Wuppertal. Aus dunklem, augenscheinlich königlich teuren Holz sind die Wände in Maria Stuarts Gefängnis und in den Räumen ihrer Widersacherin, der Königin Elisabeth. Der Vorhang: kostbares violettes Tuch. Die Musik: Streichquartett von Franz Schubert. Durchweg edel eingefaßt wie ein Kleinod, wie ein sorgsam verwahrtes Text-Geschmeide, sieht man in Wuppertal Schillers „Maria Stuart“ – im wahrsten Wortsinn ein Schmuck-Stück.

Adelheid Müthers Inszenierung behandelt die Vorlage äußerst schonend, fast scheu. Rena Liebenow spielt die Elisabeth. Würde oder Herrscherstolz sind bei ihr nur in Ansätzen zu spüren. Auch wird sie gar nicht so sehr von erotischer Frustration umgetrieben, wie dies Text und Aufführungskonvention nahelegen könnten. Nein, eigentlich ist sie – man kann es kaum anders ausdrücken – eine „ganz patente … Weiterlesen

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Bochums „fliegende Untertasse“

Von Bernd Berke

Das Theater, sinniert Bochums Schauspielchef Frank-Patrick Steckel, sei vielleicht einer „fliegenden Untertasse“ vergleichbar. Es komme nicht aus unserer Alltagswelt, sondern „von woanders her“. Ob die Insassen feindliche oder freundliche Absichten hätten, sei so schnell nicht auszumachen.

Mit diesem galaktischen Denkbild gab Steckel den Filmemachern Axel Bornkessel und Claus-Ferdinand Siegfried ein Stichwort, auf das diese offenbar nur gewartet hatten. Hartnäckig vertretene These ihres WDF-Beitrags „Schaupielhaus Bochum – eine Stadt und ihr Theater“: Die Bühne der Revierstadt sei weit entfernt von der täglichen Realität und besonders von den Problemen der arbeitenden Bevölkerung. Man kann so etwas behaupten, doch hier fehlte der schlüssige Nachweis.

Steckel bestätigte immerhin: Peter Zadek und Claus Peymann seien mit ihren Produktionen aufs Publikum zugegangen. Bei … Weiterlesen

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Erinnerungs-Fahrten durch Tod und Traum – Reinhild Hoffmanns Tanztheaterstück „Verreist“

Von Bernd Berke

Bochum. Eisblöcke überall: In derSchultüte (statt Süßigkeiten); hoch aufgetürmt als Trennwand absoluter Kälte zwischen Mann und Frau; aber auch als kofferförmiges Reisegepäck und als „Schlitten“, auf denen man lustvoll die abgeschrägte Bühne hinuntersausen kann. Eisblöcke für Spiel und Schrecken.

„Verreist“ heißt Reinhild Hoffmanns Tanztheaterproduktion, 1986 in Bremen gezeigt und am Samstag (unter brausendem Premierenbeifall) erstmals in neuer Bochumer Fassung zu besichtigen. Statt „Verreist“ (sprich: unterwegs) könnte der Abend auch wortspielerisch in „Vereist“ (sprich: gefroren) umgetauft werden. Es friert nicht nur Wasser zu Eis, sondern auch Bewegung zur Starre. So werden in einer der wenigen Szenen, die sich direkt auf die touristische Form des Reisens beziehen, die Gesten einer Schar von Strandbesuchern immer wieder angehalten und als todesstarre … Weiterlesen

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