Von Bernd Berke
Köln. In der Menschenseele regiert das Chaos: „So vieles und so verschiedenes hat zugleich Raum in uns. Liebe und Trug, Treue und Treulosigkeit; Anbetung für die eine und dennoch wildes Verlangen nach der anderen. (…) Die Seele (…) ist weites Land.“
Dieses wildzerklüftete Laiidschaftsbild, das man für banal, aber auch für unterschwellig ironisch halten kann, entwarf der österreichische Dramatiker Arthur Schnitzler 1910 in seiner Tragikomödie „Das weite Land“. Luc Bondy, noch Mitdirektor der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz, hat daraus einen Film gemacht, der heute in ausgewählten Kinos anläuft.
Bondy, der das Stück 1984 in Paris fürs Theater inszenierte, leuchtet nicht etwa gesellschaftliche Hintergründe (Stichwort: „Bürgerdämmerung“ am Vorabend des Ersten Weltkriegs) aus. Er konzentriert sich ganz auf die „Chemie“ der Gefühlsregungen, aufs treulose Spiel der Emotionen, das jedoch unvermittelt in tödlichen Ernst umschlagen kann. Komische Akzente sind äußerst sparsam und zurückhaltend gesetzt, eine Stimmung der Vergeblichkeit herrscht vor.
Im Mittelpunkt steht der Glühlampenfabrikant Friedrich Hofreiter (Michel Piccoli), der sich auch bei glanzvollen Soireen nur mäßig vom Geschäftsleben erholt. Allgemeine Leere und Künstlichkeit (mehrfach formieren sich die Filmdarsteller zu kühlen Tableaus nach Art eines Wachsfigurenkabinetts) verlangen nach Aufstachelung, nach Kitzel. Hofreiter sucht solchen „thrill“ auf erotischem und sportlichem Felde. Das „weite Land“ seiner Seele führt Eroberungskriege. Piccoli zeigt eindrucksvoll, wie dieser Mann – unfähig zur Liebe – nur den Schauer vor der Erfüllung sucht. Nach solchen Aufwallungen stößt er die Frauen buchstäblich und brüsk zurück – eine eigentümlich hitzige Mischung aus gewaltsamer „Keuschheit“ und galoppierender Gier. In diesen Strudel reißt Hofreiter auch andere mit hinein: seine Frau, deren vermeintliche Liebhaber, seine eigenen Geliebten.
Bondy hat ersichtlich um bildkräftige Umsetzung gerungen. Vielen Bildern sieht man es an, wie überlegt sie durchkomponiert sind. Da gibt es Symmetrien oder ins Bild ragende Diagonalen, die genau so stimmen und nicht einen Deut anders sein dürften. Künstlichkeit allenthalben, wir sind im Museum der Gefühle, in dem, es zwar auch für den Kinozuschauer nicht ganz ohne Langeweile abgeht, aber es ist doch stets edle, gepflegte Langeweile.
Hinzu kommt eine ausgeklügelte Choreographie der Gänge und Verrichtungen, vorgeführt mit häufigem Tempowechsel. Mal hält die Kamera (Thomas Mauch, oft Kameramann bei Werner Herzog), erbarmungslos geduldig, auf unscheinbarste Gesichtsregungen, dann verfolgt sie ruhelos die Figuren, die mit ihren willkürlich aufgepeitschten Emotionen in stille Naturwinkel einfallen und sie mit Chaos anfüllen: der Mensch als Störenfried der Welt.
Neben Michel Piccoli bleibt vor allem Bulle Ogier als Hofreiters Frau Genia in Erinnerung, die vor Resignation ganz hell, fast wie eine Heilige, erstrahlt.