Von Bernd Berke
Kleve. Erschrocken über den mehr als gesegneten Appetit des „Dichterfürsten“ Goethe, schrieb Schriftsteller-„Kollege“ Jean Paul: „Auch frisset er entsetzlich.“ Bert Brecht brachte zornig zu Papier, daß Thomas Mann ein „Reptil“ sei. Stefan Zweig, der Joseph Roth finanziell unter die Arme gegriffen hatte, floß es, nachdem Roth alles vertrunken hatte, aus der „Feder“: „Und das von meinem Geld!“
Solche, nicht immer sehr feinen Äußerungen (wenn man so will: der „Tratsch“ der Literaturwelt) sind das Spezialgebiet eines Archivs im niederrheinischen Kleve. Seele des privaten Einmann-Unternehmens ist Winfried Hönes (53), den der literarische Sammeltrieb vor nun fast 20 Jahren packte, als er noch in der Stadtbücherei Lüdenscheid arbeitete.
Pro Jahr gibt Hönes, der seit 1972 in Kleve wohnt und die dortige Stadtbücherei leitet, aus eigener Tasche die stolze Summe von „etwa 10- bis 15 000 Mark“ für Bücher aus, um sie sodann – gleichfalls ohne Unterstützung – nach brauchbaren Zitatstellen zu durchforsten. Rund 30 000 einschlägige Fundvermerke aus 3500 Bänden hat er seit 1968 systematisch penibel aufgelistet; nicht mit Computerhilfe, sondern in dickleibigen Ordnern. Hönes‘ bundesweit einzigartige Kollektion umfaßt Zitate aus der gesamten Weltliteratur. Der „Stellen-Sammler“: „Das reicht von Homer bis Handke.“ Schwerpunkte sind freilich „subjektive Äußerungen“ aus der deutschsprachigen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, dazu solche aus den Literaturen Englands, Frankreichs und Rußlands.
Lesearbeit im „Einmannbetrieb°
Hönes bevorzugt für seine Sucharbeit weniger die Hauptwerke der Autoren, sondern nimmt sich lieber Briefe, Memoiren und Tagebücher vor: „Dort finden sich oft versteckte Äußerungen über andere Schriftsteller.“ Natürlich dreht es sich dabei nicht nur um Zitate der eingangs erwähnten Sorte, die im bürgerlichen Leben hart an den Rand einer Beleidigungsklage führen würden, sondern um jede Art von Querbezügen – ganz gleich, ob anekdotischer oder hochtheoretischer Natur. So unerbittlich sie einander manchmal tadelten, so überschwenglich spendeten Schriftsteller auch gegenseitiges Lob. Und manchmal – Lohn des Forschers – erhellen wenige kurze Zitate schlagartig einen bislang wenig beachteten Aspekt der Literaturgeschichte.
Das Klever Privatarchiv findet denn auch immer mehr Anerkennung. Im vorigen Jahr wurde es in den erlauchten Kreis der „Arbeitsgemeinschaft der Spezialbibliotheken e.V.“ aufgenommen. Außerdem klopfen nicht nur Literaturwissenschaftler, sondern auch große Büchereien und renommierte Verlage bei Hönes an, wenn sie spezielle Zitate benötigen. So half Hönes schon häufig bei der Erstellung von Lexika, Werkausgaben und Sekundärliteratur. In letzter Zeit wird er immer öfter „im Auftrag“ tätig. Hönes: „Dann geht jede freie Minute für die Sucharbeit drauf.“
Unterdessen hat er sich selbst noch mehr Lesearbeit aufgebürdet. Neuerdings fahndet er nicht nur nach Sätzen, die Dichter über Dichter schrieben, sondern auch nach Zitaten zu Begriffen wie „Religion“, „Liebe“ oder „Recht“ – eine wahrhaft unerschöpfliche Aufgabe! Zwischenresultat sind z. B. spezielle Aphorismensammlungen für bestimmte Berufsgruppen, etwa Juristen, Ärzte und Lehrer.