Von Bernd Berke
Oberhausen. Die Krise im Kohle- und Stahlbereich beschäftigt auch die Oberhausener Kurzfilmtage, die gestern Abend begonnen haben.
Festivalleiterin Karola Gramann hat bewußt zwei „filmische Kommentare“ für das – wegen einer Diskussion über „25 Jahre Oberhausener Manifest“ („Papas Kino ist tot“!) – arg gestutzte Eröffnungsprogramm ausgewählt, die sich auf ganz verschiedene Weise auf die genannten Industrien beziehen: Maxim Fords „North“/Norden (Großbritannien, 1986) und Rainer Ackermanns „Aus dem Familienschacht“ (DDR, 1986).
„North“ zeigt eine sterbende Schwerindustrie-Region im Nordosten Englands. Ästhetischer Ehrgeiz wird in jeder Einstellung spürbar, zuweilen allzu spürbar. Musikalisch strukturiert, gefällt sich der 37-Minuten-Beitrag im überaus häufigen Einsatz extremer Zeifraffer-Sequenzen (rasende Wolken, pfeilschneller Straßenverkehr usw.). Während man noch rätselt, ob solche Bewegungen etwa ein Äquivalent zur rücksichtslosen Zirkulation von Kapital darstellen sollen, werden die schuldigen Mächte ziemlich direkt benannt: Da vergammeln Fahrzeuge britischer Fabrikation massenweise auf dem Schrottplatz, während – Kontrast in raschen Schnitt-Gegenschnitt-Folgen – die Niederlassung einer japanischen Autofirma ersichtlich floriert. Bootsfahrten und andere betuliche Vergnügungen einer abgelebten Oberschicht werden in Bildern eingefangen, die von Auguste Renoir stammen könnten. Auch durch die Börse bewegt sich die Kamera und zeigt Handbewegungen der Finanzmakler. Die geschmeidigen Gesten bedeuten, so die eindringliche Suggestion, Todesurteile für die Region.
„Auf dem Familienschacht“ kommt ohne solche Kunstanstrengung aus. Das dokumentarische Gruppenporträt einer Bergarbeiterbrigade aus dem Mansfelder Land (DDR) enthält sich des Kommentars, es läßt die Arbeiter selbst zu Wort kommen, beobachtet sie unter und über Tage. Kein „sozialistischerRealismus“ kommt dabei zum Vorschein, sondern sozusagen realistischer Sozialismus, will heißen: die Wirklichkeit der Arbeit ohne Heroisierung. Und dann die Szene, die bei Vorführungen in der DDR Lachsalven auslöste: Eine Bergmannsfrau zeigt ihr Hochzeitbild und erläutert, vor dem Schritt zum Traualtar habe man einander die Sünden gestanden – er hatte mal eine Dummheit gemacht und „gesessen“; sie beichtete, Parteimitglied zu sein. Die beiden „verziehen“ einander.
Auch wenn manche, die stets nach neuen Trends Ausschau halten, das Wort „Glasnost“ schon nicht mehr hören können (man sollte es in der Tat nicht zerreden) – nach dem sowjetischen Schwerpunkt bei der Berlinale war ein Pendant in Oberhausen wohl unvermeidlich.
Das sowjetische Kurzfilmprogramm wird heute um 20 Uhr im Auditorium der Luise-Albertz-Halle gezeigt, es umfaßt neun von insgesamt 80 Filmen des Wettbewerbs. Bemerkenswert etwa Nana Dzhordzhadzes grusinische Gaunerkomödie „Reise nach Zoppot“, schon 1980 gedreht und seinerzeit auf Widerstände gestoßen. Zwei Aussteiger verhökern – natürlich illegal – Sexfotos an Zugreisende und befinden sich ständig auf.der Flucht vor Ordnungshütern, die höchst unsympathisch gezeichnet werden. Natalia Schorinas Animations-Beitrag „Die Tür“ (1986) handelt von einem Wohnhaus, dessen Tür klemmt – ein Hindernis, das man auf jede nur erdenkliche Weise zu umgehen sucht. Man kann darin Metaphern auf das nötige Improvisationstalent im sozialistischen Alltag sehen oder einfach den Einfallsreichtum genießen.