Rhythmen der Arbeit und der Kunst

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Eigentlich soll, so müßte man meinen, der Mensch sich die Welt mittels Arbeit nach seinen Bedürfnissen zurichten. Doch die Geschichte verlief größtenteils anders: Die Arbeit richtete sich „ihren“ Mensehen zu. Nach ihrem – natürlich letztlich von Menschen bestimmten – Rhythmus hat er sich zu strecken.

Immer wieder haben sich bildende Künstler dieses Themas angenommen. Kein Wunder, da „Rhythmus“ ja auch eine künstlerische Kategorie und also bildkräftig ist. Daran konnten denn auch die Ruhrfestspiele über kurz oder lang kaum vorbeigehen. Über 100 bildnerische Beispiele zahlreicher Stilrichtungen und Kunstmedien (Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen, kinetische Objekte, Karikaturen und Fotos) zur Entwicklung von „Arbeit und Rhythmus“ (Titel) präsentieren die Festspiele nun in der Kunsthalle Recklinghausen. Das Thema ist gut gewählt, die Auswahl schlüssig, die Beispiele schlagkräftig.

Diesmal können Anneliese Schröder und Brigitte Kaul, die die Auswahl besorgten, sogar mit einer kleinen Sensation aufwarten. Erstmals sind die 1928 entstandenen acht „Überlebensfriese des arbeitenden Menschen“ (vom Dortmunder Bernhard Hoetger) komplett zu sehen. Sie zeigen die Beugung des Körpers durch Arbeit und Überlebenskampf von der Jugend bis ins Greisenalter.

Der rote Faden der geschichtlichen Entwicklung ist auch jener der Ausstellung: Immer genauer und unerbittlicher werden die Arbeitsrhythmen, immer enger wird der Bewegungsradius des Menschen. Es beginnt mit der Landarbeit (Bilder u. a. von Schmidt-Rottluff und Emil Nolde), die ersichtlich mit Selbstverwirklichung zu tun hatte, da sie den Einsatz eigener Körperkraft erforderte. Das verführt manche Künstler dazu, diese Arbeit zu idealisieren und zu heroisieren. Spätere Künstler, so vor allem George Grosz („Wo die Dividenden herkommen“, 1928), sehen die Sache weit kritischer. Für die beiden gegensätzlichen Auffassungen finden sich jeweils zahlreiche Belege in der Ausstellung, die übrigens auch Frauenarbeit (Wäscherinnen, Haushalt) nicht ausspart.

Immer deutlicher bilden sich im Lauf der Zeit die Rhythmen derArbeit heraus. Künstler gestalten sie zu massenhaft reproduzierten Mustern, bis hin zur seriellen Darstellung. Thomas Bayrle entwirft ein solches Muster, das erst bei näherem Hinsehen aus lauter Automobilarbeitern besteht und bei noch näherem Hinsehen die Kopfumrisse des Arbeits-Herren, in diesem Falle des Fiat-Chefs Agnelli, erahnen läßt. Immerwährende Gefahr: Je prägnanter die Muster und Rhythmen, desto größer die Gefahr der scheinbar .„interesselosen“ Ästhetisierung. Schließlich setzt sich die maschinelle Organisation durch. Künstler wie Fernand Léger gewinnen auch diesem Prozeß Utopie ab. Es wird aber auch vielfach Erschrecken spürbar, so etwa in Hannah Höchs „Gewächse“ (1928), einem naturwidrigen Garten aus zahllosen Maschinenteilen.

Arbeit im Bergbau und in der Stahlindustrie (letztere aus purer Farblust auch schon mal pointillistisch dargestellt) nehmen breiten Raum ein. Doch die Ausstellungsmacherinnen haben sich den Blick nicht verengen lassen. Das Spektrum umfaßt auch Bereiche wie die Arbeit im Hafen, im Schlachthof (Bilder von Corinth u. a.) und reicht bis zur Knopfdruck-Tätigkeit am Computerbildschirm. Peter Freeses mathematisch-penible Vermessung und Nachbildung des Terminalmensehen, dessen Persönlichkeit in den Großrechner eingegeben wird, führt sie vor Augen. Apropos Bildschirm: Im Eingangsbereich der Kunsthalle soll man per Computer-Game „durchspielen“, wie ein Bergarbeiter seine Familie anno 1903 durchbringen mußte. Weiterer themenbezogener Einfall: eine Stempeluhr, mit der jeder Besucher abmessen kann, wie lange er in der Ausstellung war.

„Arbeit und Rhythmus“. Kunsthalle Recklinghausen (gegenüber dem Hauptbahnhof). Bis 12. Juli. Mo-fr 10-18 Uhr, Wochenenden/Feiertage 11-19 Uhr.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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