Verwüstung der Welt und der Erinnerung – Eröffnungsprogramm der Oberhausener Kurzfilmtage

Von Bernd Berke

Oberhausen. Das Eröffnungsprogramm der 34. Westdeutschen Kurzfilmtage in Oberhausen (heute bis 23. April; 94 Filme aus 37 Ländem) weckt keine Zuversicht. Die Auftaktbeiträge des Festivals zeigen je auf ihre Weise, wie verwüstet die Welt ist – und mit ihr unser Gedächtnis. Auch unsere Hoffnung?

Eine Erinnerungs-Wüste droht sich in der Sowjetunion auszubreiten, folgt man der Aussage des Films „Das Abendopfer“ (UdSSR, 1987; Regie: Alexander Sokurow). Szenen aus dem Zweiten Weltkrieg (Kanoniere bei ihrer auf Nachlade-Mechanik reduzierten Tätigkeit) werden – gleicher Ort, andere Zeit – mit einem Massenereignis von heute kontrastiert. Tausende von Menschen strömen daher, wie ein endloser Zug nach Nirgendwo, jeder für sich isoliert in der Menge. Dazu, Zeichen von „Verwestlichung“, Rock-Fetzen auf der Tonspur. Schließlich die nächtliche Einsamkeits-Spiegelung eines Gesichts in einer Straßenbahnscheibe und rauchend herabfallende Munitionshülsen der Weltkriegskanonen. Was bleibt, sind (auch im übertragenen Sinne) nur leere Hülsen. Der Krieg liegt weit zurück, man hat nichts mehr damit zu tun. Und miteinander auch nicht mehr.

Mit kargen, etwas holzschnitthaft-überdeutlichen Mitteln, operiert der Eröffnungsbeitrag aus der Dritten Welt: In „Der Baum des Lebens“ (Somalia, 1987; Regie: Abdulkadir Ahmed Said) geht ein Mann mit geschulterter Axt durch sein Dorf – vorbei an den einfachen Dingen des Lebens. Am Wegrand sieht man Frauen bei der traditionellen Nahrungszubereitung, fröhlich spielende Kinder. Doch der Mann zieht weiter bis in ein Waldstück. Dort fällt er einen Baum, von den Hieben hallt die ganze Gegend wider. Als der Baum stürzt, erhebt sich ein Aufschrei in der ganzen Natur. Die anfangs aus Safari-Perspektive gezeigten Tiere laufen nun panisch davon, ein schreckliches Unwetter bricht los. Gipfel des Alptraums von der Umweltzerstörung: Der verzweifelte Mann findet sich in einer leblosen Wüste wieder. Am Ende freut er sich wie ein kleines Kind über einen winzigen Pflanzensproß im Sand.

Umweltzerstörung ist auch das Thema des Films „Die Ölfresser“ (CSSR, 1988; Regie: Jan Sverák). Hier nähert man sich der Sache mit Sarkasmus. Ein fiktives Wissenschaftler-Team, reportagehaft eingefangen mit wackliger Handkamera, begibt sich auf eine Expedition ins nordböhmische Braunkohlebecken, eine Industrie-Wüste sondergleichen. Dort will man die mysteriösen „Ölfresser“ aufstöbern, eine neue Tierart, die nur im übelsten Dreck gedeiht. Tatsächlich (den tschechischen Effekt-Spezialisten sei Dank) tauchen die echsenartigen Wesen bald auf. Bringt man sie an die frische Luft. röcheln sie nur noch. Preßt man ihre Mäuler an den Autoauspuff und gibt ihnen Öl oder Benzin zu saufen, leben sie auf.

Mit Samba-Musik täuscht der Streifen „Straßenkinder“ (Brasilien, 1987; Regie: Marlene Franca) zunächst eine touristische Sicht vor. Doch Franca hat in der Stadtwüste von Sao Paulo einige der 36 Millionen brasilianischen Kinder vor die Kamera geholt, die sich auf der Straße durchschlagen. Sie geben erschütternde Auskunft über Praktiken der Militärpolizei, die die schutzlosen Kinder immer wieder willkürlich aufgreift, foltert oder ermordet.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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